Kopfschmerzen : Wenn das Gehirn nicht richtig "Abschalten" kann
In früheren Blogbeiträgen habe ich schon ein wenig über das Thema Selbstüberforderung und mangelnde Selbstfürsorge gepostet. Etwa über Zeitinsolvenz bzw. eine neue Sichtweise von "Armut" an Frei-Zeit. Also mehr oder weniger die Auswirkungen von "Stress" bzw. fehlender "artgerechter Haltung" von uns Menschen in den aktuellen eigenen Lebensrealitäten.
Es liegt auf der Hand, dass Kopfschmerzen ein Symptom bzw. Warnsignal für diese Problematik ist. Wer sich selber ständig schlecht behandelt und über die eigenen Grenzen geht (bzw. gehen MUSS), der wird mit Kopfzerbrechen bestraft. Zumindst ist das die stark vereinfachte psychosomatische Sichtweise darauf. (Als Arzt möchte ich der Vollständigkeit darauf hinweisen, dass JEDER neue akute Kopfschmerz natürlich nach den Regeln der Schulmedizin erstmal untersucht und andere körperliche Ursachen ausgeschlossen werden sollten).
Aber zurück zum Thema : Kopfschmerzen als Zeichen der Selbstausbeutung bzw. Überschreiten des eigenen Energie- und Frei-Zeit-Kontos :
Wenn das mal mehr oder weniger kurzfristig der Fall ist, dann ist das zwar nicht schön. Aber vielleicht mit dem Griff zu einer Kopfschmerztablette zu lösen. Wobei Aspirin und Co ja vielleicht den akuten Schmerz lindern, nichts aber an dauerhaften Ursachen des schlechten Umgangs mit sich selbst ändert. Dann schon eher mal die Auszeit am Wochenende, ein Kurzurlaub oder anderen Maßnahmen für etwas mehr Entspannung. Zeit für die Partnerschaft, die Familie. Hobbies. All der ganze Kram, der eben dann auf der Strecke bleibt, wenn schon eh keine Zeit vorhanden zu sein scheint.
Wenn der Körper Spannungen, Ungerechtigkeit und Stress in körperliche Signale übersetzt
Aber sehr häufig ist es damit nicht getan. In diesem Beitrag geht es um Kopfschmerzen, die schon sehr früh, d.h. im Kindes- und Jugendalter auftreten. Und dann ein ständiger unliebsamer Begleiter sein können.
Kopfschmerzen aller Art sind natürlich häufig. Und leider betreffen Kopfschmerzsyndrome immer häufiger auch schon Jugendliche und Erwachsene und führen u.a. dazu, dass das eigene Leistungsvermögen nicht umgesetzt bzw. immer häufiger Fehltage in der Schule resultieren.
Ich kann sowohl aus der eigenen Erfahrung wie auch aus dem Erleben bei meinem Sohn berichten, dass dabei die Zuordnung der Beschwerden auch für erfahrene Ärzte schwierig ist. Man kann schlecht unterscheiden, ob es sich nun um eine eine "echte Migräne", Überforderung bzw. um Kopfschmerzen vom Spannungstyp handelt, ob man vielleicht schlicht und ergreifend nicht erholsamen Schlaf hatte bzw. zu wenig Schlaf gefunden hat oder vielleicht zu wenig getrunken hat. Oder "irgendwas". Wobei irgendwas dann zu meist ergebnisloser Diagnostik, frustranen Therapieversuchen und bei etlichen Eltern auch zum unnötigen Geldausgeben bei allen möglichen und unmöglichen Heilpraktikern oder anderen Heilsversprechern führte.
Bei mir wurde es häufig auf zu niedrigen Blutdruck bzw. "Kreislauf" geschoben. Ich solle mehr Sport machen. Und mehr Trinken (was sicher richtig ist). Und überhaupt, es würde sich "auswachsen". Was nicht richtig ist bzw. sich nicht bestätigte.
Ich selber habe beispielsweise relativ häufig nach einigen anstrengenden Tagen (mit zu wenig Selbstfürsorge bzw. zu vielen Reizen und Anforderungen) Mitten in der Nacht eine sehr heftige vegetative Symptomatik mit Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und meist einseitigen (aber eben nicht klopfenden) Kopfschmerzen. In diesem Zustand versagt mein Gehirn bzw. auch mein Körper komplett den Dienst. Neben Lichtempfindlichkeit ist dann einfach ALLES zu viel. Oder auch zu wenig. Denn ich habe eigentlich das Gefühl, dass ich dann Reize benötigen würde, diese aber nicht aushalten könnte. Zumindest habe ich dann das Bedürfnis nach ganz viel Kaffee, den ich aber kaum runterbekommen würde. Oder einseitige Reize, wie z.B. Duschen (also bei gleichzeitiger Reizabschirmung). Für mich ist es so, dass mein Regulationssystem bzw. meine Reizfilter so ziemlich "out of order" sind. Mit etwas Glück hält dieser Zustand so einen Tag an, manchmal konnte ich auch "schon" nachmittags am nächsten Tag wieder etwas machen oder sogar zur Arbeit kommen.
Reizüberflutung bei Reizfilterschwäche
Für mich ist relativ klar, dass ich zu viel Input hatte. Meistens gar nicht in Form von Lärm, Licht. Auch noch nichtmal in Form von Medienüberreizung. Klar, ich sollte mich weniger im Internet rumtreiben. Und mehr an der frischen Luft sein. Oder Sport treiben. Aber das Phänomen trat bei mir schon auf, da war an Smartphones oder Facebook und co noch gar nicht zu denken. Und ich hatte weder "Leistungsdruck", "Mobbing" oder sonstigen Stress in der Schule. Jedenfalls nicht mehr oder weniger als anderen Mitschüler auch. Und doch war ich "anders". Irgendwie ein "Sensibelchen", das aber kein Sensibelchen sein wollte. Und sich deshalb auch nicht schonen wollte. Bzw. nicht schonte. Im Gegenteil.
Es war eher so, dass mich die "Aussenwelt" nervte. Zu viel Geschwätz, zu viel Ungerechtigkeit, zu viele emotionale Belastungen und Ärger und Nervkram um mich herum. Das ist das, was ich als "noise" bezeichne. Also emotionaler Lärm bzw. emotionaler Sondermüll.
Und dieser Form von Lärm ist nicht minder belastend als nun an einer Hauptverkehrsstrasse oder in der Einflugschneisse eines Flughafens zu leben. Und wahrscheinlich auch nicht weniger gesundheitsschädlich.
Selber Schuld könnte man meinen. Schliesslich bin ich als Psychiater bzw. Psychotherapeut damit beruflich belastet. Aber es war eben gar nicht der Inhalt der Sitzungen mit meinen Klienten. Es waren Unstimmigkeiten in der Organisation in der Umgebung. Nervkram aller Art. Alltagsaufgaben, die "eigentlich" ganz klar zu lösen und zu organisieren wären. Aber nie funktioniert. Jedenfalls nicht so, wie sich mein Gehirn das dann gerade so vorstellt. Oder eben das "Ausgeliefertsein" an völlig stumpfsinnige Entscheidungen oder Regelungen. Die für mein Gehirn (subjektiv oder auch ganz rational) überhaupt keinen Sinn ergeben. Die also in eine falsche Richtung weisen müssen. Aber dennoch so durchgesetzt werden. Fürchterlich. Aber eben immer und immer wieder zu erleben.
Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass mein Gehirn eben eine angeborene Reizoffenheit bei Reizfilterschwäche hat. Mein ADHS-Gehirn verfügt nicht über die Art von Filtern, die nun neurotypische Menschen offenbar standardmässig zur Verfügung haben.
Leider scheint mein Gehirn nun aber besonders in der Wahrnehmung nach aussen gerichtet zu sein Und kann mit diesem "Noise" (also emotionalem Lärm bzw. Müll) unterschiedlich gut umgehen. Die Selbstwahrnehmung, also das Wahrnehmen der eigenen emotionalen und körperlichen Belastungen bzw. Belastungsgrenzen versagt dafür auf ganzer Linie. Schliesslich habe ich keinene sichtbaren Drehzahlmesser oder eine Energie-Anzeige, die ich ablesen könnte. Und "Merken" tue ich meine Selbstüberforderung grundsätzlich zu spät. Wenn überhaupt.
Kopfschmerzen als Resultat des "Funktionieren müssen"
Für mich - und auch aussenstehende Freunde und Familienmitglieder - war es schon immer ein Phänomen, dass diese Art von Kopfschmerzen scheinbar situationsabhängig auftraten. Eigentlich sowas wie eine Art "Sonntags-Blues". Wenn ich an einem Tag z.B. Aufgaben wie ein Seminar oder Vorträge vor mir hatte, verschwanden die Kopfschmerzen schnell bzw. traten nicht auf. Hatte ich frei, war die Gefahr sehr gross. So sehr ich mich nach einem Tag ohne Aufgaben, ohne Anstrengung oder Pflichten sehnte, so wenig gut kann ich mit Ruhe und auch Langeweile umgehen. Wobei mir eigentlich dann auch gar nicht langweilig wird. Wenn mein Gehirn denn mitspielt.
Das führte zu der etwas üblen Selbstausbeutung, dass man (besser gesagt : ICH) besser keine ausreichenden Ruhe-Phasen bzw. Phasen ohne "geistige Herauforderungen" zulassen wollte. Weil dann das Gehirn quasi in einen Nicht-Funktionszustand geriet.
Eine ziemlich gefährliche Falle
Wenn ich nämlich keine Erholungsphasen habe, steigt die Gefahr dieser Out of Order -Phasen natürlich an. Sie scheinen ja sehr deutlich darauf hinzuweisen, dass ich weit - zu weit - über meine Grenzen der Belastbarkeit gegangen bin. Leider aber eben auch aus den verschiedensten Gründen gehen musste.
Andererseits wäre es aber so, dass ich noch mehr "Angst" vor einer Ruhephase hatte, weil dann ja die körperlichen Symptome in Form der Kopfschmerzen bzw. Übelkeit etc aufgetreten SIND.
Mein Regulationssystem (alo mein Gehirn UND auch die damit irgendwie vernetzten Körperfunktionen) kennen offenbar eher eine dichtome Regulation:
Ganz (und zwar im Sinne von viel zu viel) Oder Gar nicht. JETZT (also in diesem Moment funktionsfähig) oder eben total nicht zu gebrauchen.
Licht AN - Licht aus
Wobei ich gerne - wie auf dem Foto - eine Art Schutzglocke um mich herum hätte. Mich dann zurückziehen möchte, aber nicht allein sein will / kann. Schon merkwürdig, oder ?
Klar, ein Dimmer wäre gut. Eine dynamische Regelung, die sich an die Situation (= Licht- oder Lärmverhältnisse) meiner emotionalen Umgebungsverschmutzung anpasst.
Dazu später mehr.
Bloss nicht Abschalten - weil dann das Anschalten nicht mehr klappt
Es ist scheinbar kurzfristig "besser" (erst wollte ich schreiben "gesünder"), sich immer weiter und weiter zu viel zu beschäftigen und sich noch mehr aufzuladen als nun mal eine Aus-Zeit zu nehmen. Weil man dann eben erstmal wirklich für eine längere Zeit "ausgeschaltet" ist und das wieder Hochfahren der Systeme unglaublich viel Kraft kostet. Bzw. vielleicht ganz misslingt. Es fehlt die eigene Regulationsmöglichkeit. Bzw. man zahlt dann den Preis dafür, dass man sich tage-, wochen-, monate-, lebenlang eben nicht "artgerecht" bzw. entsprechend der eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse verhalten und selbstgesteuert hat. Zuwenig auf sich und seine Grenzen der Belastbarkeit achtgegeben hat.
Ich glaube inzwischen, dass viele meiner Rehabilitanden in der Psychosomatischen Reha genau so ein Problem haben, was sie in chronische Schmerzzustände (speziell Fibromyalgie) treibt. Es sind nicht primär körperliche Veränderungen der Orthopädie bzw. anderer Fachgebiete, die die Art von Kopfschmerzen oder anderer psychosomatischer Symptome erklärt. Es ist dieser spezielle Wahrnehmungs- und Regulationsstil, der dann den Ärzten Kopfzerbrechen macht, warum die Symptomatik nicht besser sondern immer schlechter unter den eingeleiteten Behandlungsversuchen wird.
Und eben auch nicht unter einer Krankschreibung besser, sondern vielleicht nur anders wird. Weil das eigentliche Problem in der Wahrnehmungs- und Regulationsdynamik gar nicht begriffen, gar nicht untersucht wird.
Kennt Ihr solche Phänomene auch ? Das Eurer Regulationssystem in Gehirn bzw. Eurer Körper so reagieren muss ?
Fotos (alle frei verfügbar, aber dennoch fair die Fotographen zu nennen)