Hallo liebe Steemians, mit meinem heutigen Beitrag darf ich den ersten Durchlauf des von @asperger-kids und mir ins Leben gerufenen Gemeinschaftsprojektes „7 Steemianer und ein Thema“ abschließen.
In dieser Woche drehte sich alles um das innere Kind. Die anderen Beiträge findet ihr hier:
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Die Innere-Kind-Arbeit ist eine tolle Möglichkeit mit sich selbst in Kontakt zu kommen, eigene Antriebe zu erforschen, Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden oder chaotische Gefühlszustände zu ordnen. Ich glaube, unsere Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Menschen diese aktiv betrieben. Deshalb freue ich mich über das große Interesse, dass ihr dem Thema mit euren Kommentaren und Upvotes entgegengebracht habt! :-)
Nachdem @asmr-austria bereits eine Möglichkeit beschrieb, die es ermöglicht, mit dem inneren Kind in Kontakt zu treten, möchte ich euch heute eine Methode vorstellen, mit deren Hilfe ihr mit eurem inneren Kind ins Gespräch kommen könnt. Ich weiß nicht, ob es dafür in Fachkreisen einen Namen gibt – ich selbst habe die Methode im Laufe einer Psychotherapie erlernt. Ich nenne sie einfach mal so:
Analoges Instant-Messaging mit dem innerem Kind
Es handelt sich nämlich um einen handschriftlichen Dialog zwischen deinem erwachsenen Ich und deinem inneren Kind.
Alles was du dazu benötigst, ist ein Stift, ein Blatt Papier, Zeit, Ruhe und die Bereitschaft dich auf eine neue Erfahrung einzulassen, die durchaus eine Herausforderung für dein Gehirn darstellen kann - du benötigst nämlich beide Hände zum Schreiben: Deine übliche Schreibhand schreibt den Part deines erwachsenen Ichs; die andere Hand schreibt den Part deines inneren Kindes nieder. Dieses Vorgehen hat mehrere Gründe:
- Es werden beide Gehirnhälften angeregt und angesprochen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Dialog rational und emotional zugleich ablaufen kann. Oder auch verbal-analytisch und emotional-wahrnehmungsorientiert – so könnte man grob vereinfacht die Funktionsweisen unserer Gehirnhälften beschreiben.
- Die Benutzung der Nichtschreibhand für den Part des inneren Kindes aktiviert die emotional-wahrnehmungsorientierte Gehirnhälfte. Tief verborgene Gefühle oder Botschaften aus dem Unterbewusstsein können nun leichter an die Oberfläche gelangen – sie werden quasi ein Stück weit am rationalen Alltagsverstand vorbeigeschmuggelt, der oft wertend und kritisierend eingreift und solche Prozesse verhindert.
- Die Benutzung der Schreibhand wiederum aktiviert die verbal-analytisch arbeitende Gehirnhälfte. Auf diese Weise bleibt das erwachsene Ich in der Lage den Überblick zu behalten, angemessen auf die möglicherweise überraschenden Belange des inneren Kindes zu reagieren, ihm Halt und Sicherheit zu geben.
Los geht’s! Wie eröffnest du das Gespräch?
Stell dir zunächst dein inneres Kind vor: Wie alt ist es, wie sieht es aus, was tut es? Nun begrüße es schriftlich. Schreibe dabei so, wie du mit einem realen Kind sprechen würdest. Stell dir vor, du hockst auf Augenhöhe vor ihm und sprichst ein Thema an, welches dich beschäftigt oder von dem du annimmst, dass dein inneres Kind dazu etwas zu sagen haben könnte. Stelle Fragen: „Weißt du noch, als dies und jenes passiert ist? Was hast du da gefühlt? Was war da los?“
Dann nimm den Stift in deine Nichtschreibhand und schreibe die Antwort nieder. Das erfordert ein wenig Übung – am Anfang ist es vielleicht die reinste Krakelei, aber mit der Zeit wird es leichter. Geh intuitiv vor und lass dich darauf ein, ohne Wertung alles aufzuschreiben, was kommt – selbst wenn es dir auf den ersten Blick sinnlos erscheinen mag. Mit der Zeit bekommst du ein Gespür dafür, wie die Botschaft lauten soll. (Ich schreibe bisweilen einen Satz, ohne dass ich ihn gedanklich bewusst erfasse. Anschließend lese ich ihn und bin erstaunt, was da aus mir rauskommt. Teilweise sind das Dinge, die ich zuvor noch nie gedacht habe bzw. die ich mir zuvor nie getraut habe zu denken oder auszuformulieren.)
Anschließend antwortet dein erwachsenes Ich mit der Schreibhand auf die Botschaften des inneren Kindes. Wenn nötig, stell zunächst Fragen, um die Botschaften besser zu verstehen. Lass darauf wiederum dein inneres Kind mit der Nichtschreibhand antworten - auf diese Weise entspinnt sich nun ein Dialog. Hör deinem inneren Kind gut zu, nimm es ernst, bewerte und verurteile seine Botschaften nicht, nimm Anteil, zeige Verständnis und lege ihm schlussendlich die Sicht des erwachsenen Ichs auf die geschilderte Situation dar, biete alternative Erklärungen für bestimmte Geschehnisse an, spende Trost – ganz so, wie ein weiser, lebenserfahrener Rat- und Haltgeber es tun würde.
Damit das ganze nicht so abstrakt bleibt, gebe ich euch hier mal ein Beispiel, was sich mit dieser Methode bearbeiten lässt. Ich habe beispielsweise lange nicht verstanden, warum ich massive Angst davor hatte, Menschen zu vertrauen. Mit sämtlichen kopfbasierten Erklärungen bin ich nicht zur Wurzel dieser Angst vorgedrungen. Rationale Herleitungen gaben mir zwar einen gewissen Halt, konnten meiner gefühlt irrationalen Angst jedoch nichts entgegensetzen. Im Laufe unzähliger Dialoge umschiffte ich dieses Thema mit meinem inneren Kind. Dieses war störrisch und verschlossen und rückte lange nicht mit der Sprache heraus. Immer wieder fragte ich: „Was denkst du denn passiert, wenn dich jemand enttäuscht?“ Irgendwann stand dann auf dem Papier: „Das überlebe ich nicht.“ Erst als ich das schwarz auf weiß vor mir sah, begann ich zu begreifen, dass es sich bei der Angst um etwas Existentielles handelte. Dem war mit Argumenten natürlich nicht beizukommen. Was es brauchte, war Halt. Das Versprechen, dass ich als Erwachsene im Sinne meines inneren Kindes handeln würde, es beschützen und nie im Stich lassen würde. Wenn alle Welt mich verletzen würde, wäre da immer noch das erwachsene Ich, dass sich nie von seinem inneren Kindanteil abwenden würde. All dies konnte ich meinem inneren Kind nun mitteilen. Es aufzuschreiben, hat dabei eine ganz besondere Qualität - handschriftlich Verfasstes bleibt uns im Gedächtnis. Es wird materiell und damit greifbar. Selbst das schwammigste Chaos kann so mit etwas Geduld in Ordnung gebracht werden – dann kehrt Ruhe ein im Geist.
Ihr müsst übrigens nicht zwingend einen Dialog mit eurem inneren Kind führen. Es gibt noch viele andere Teilaspekte eurer Persönlichkeit, die sich über Zuwendung freuen: beispielsweise der innere Jugendliche, der innere Kritiker, der innere Trotzkopf. Gerade wenn es um Entscheidungsfindung geht, können auch Gespräche mit Figuren wie dem inneren Engel und dem inneren Teufel hilfreich sein.
Und nicht jedes Gespräch muss zwingend traumatische oder problembehaftete Gebiete abklopfen. Es macht auch Spaß mit einem Anteil einfach einmal Smalltalk zu halten oder herumzualbern. Dabei lernt man sich spielerisch selbst viel besser kennen und mit der Zeit wird es immer leichter die Teilaspekte der eigenen Persönlichkeit auch im Alltag schnell zu identifizieren und anzusprechen – jeder Aspekt hat seine ganz eigene Sprache und wird einem schnell vertraut. Für einige hört sich das vielleicht beängstigend und nach gespaltener Persönlichkeit an, aber ganz im Gegenteil integriert man auf diese Weise all seine Persönlichkeitsanteile und kann erst so – insofern man es nicht schon ist – ein großes Ganzes werden.
Ich danke euch fürs Lesen und hoffe, ihr hattet Spaß an dieser Reihe! Wir bearbeiten auf diese Weise in Zukunft hoffentlich alle gemeinsam noch viele weitere spannende Themen.