Kaum stöbere ich seit Tagen mal wieder bei Spiegel Online, schon erfahre ich vom latest hottest brownest shit in town, den "Identitären", die eine Veranstaltung von Herrn Augstein und Frau Käßmann gestört haben, was ich grundsätzlich als Protestform aus jedweder politischen Richtung kritisch sehe, da man ja selber auch gerne in Ruhe seine Thesen verbreiten möchte. Allerdings, so Herr Augstein:
" Zwei Reihen im Publikum erhoben sich, Schilder wurden gereckt, Fäuste geballt, Parolen gebrüllt. Aber das waren lauter nett aussehende, adrette junge Leute. Sie hielten ordentlich ihre Schilder. Sie brüllten ordentlich. Und als man sie des Saales verwies, gingen sie ordentlich davon. Darf ich vorstellen: die "Identitäre Bewegung", unsere neuen Nazis. "
Potzblitz! Nazis! Ganz neue noch dazu! Und offenbar mit einem instinktiven Respekt für fremdes Eigentum und das Konzept von "Hausrecht" versehen, was bei den stark links-egalitär geprägten deutschen Ur-Nazis selbst in der Frühphase alles andere als selbstverständlich war und was anti-nationalistische Sozialisten aller Couleur ja quasi per Definition nie wirklich einsehen dürfen.
Ich hatte die Identitären zumindest schonmal wahrgenommen, weil ich ihre Aktion am Brandenburger Tor zufällig mitbekommen hatte, mich aber dann nicht weiter für diese Bewegung interessiert, da sie mir augenscheinlich einen falschen Fokus setzt. Grenzen und Flüchtlinge etc sind nur eines der vielen Schlamassel, in die uns der Interventionismus jeder Couleur gebracht hat und es erscheint mir müssig die 80. Millionste Stimme zu sein, die ihren Senf zum "richtigen politischen Umgang mit der Flüchtlingskrise" gibt.
Zurück zu Herrn Augstein:
"Ich habe die "Identitären" Nazis genannt. Man muss mit dem Wort vorsichtig sein. Es sind nicht alle, die eine andere Meinung haben, Nazis. Aber hier trifft es zu. Diese Leute predigen weder Eroberungskrieg noch Judenmord. Ihre Ideologie heißt "Ethnopluralismus". Jedes Volk hat ein Recht auf seinen eigenen Raum - und soll da auch bitte bleiben. Globalisierung, Migration, Multikulturalismus sind des Teufels. Das Wort "Raum" erinnert nicht umsonst an Martin Heidegger und Carl Schmitt, Heroen der neuen wie der alten Rechten. Denn so fesch sich dies "Identitären" geben, so alt ist ihr Denken. Es sind junge Greise, die da demonstrieren.
Sie träumen den Traum eines modernen Faschismus. Ihre Helden sitzen in Russland und in Ungarn. Wenn sie unter sich sind, in ihren Zeitschriften, im Netz, bei ihren Tagungen auf den Burgen und Schlössern ihrer vermögenden Förderer, geben sie sich ihren Allmachtsfantasien hin, ihren Visionen von der "Reconquista", der Befreiung des Landes von Islamismus und linkem Mainstream. Am Ende aber läuft es schlicht auf die Ausschaltung des Gegners hinaus - vor allem die Ausschaltung der unabhängigen Medien."
Ich habe die Passage in Gänze zitiert, weil ich darauf aufmerksam machen will, wie bedenkenlos ein Star-Intellektueller mit hochsensiblen Begriffen um sich wirft, nur um genau das zu tun, was er seinem "politischen Gegner" vorwirft, nämlich polemischen Populismus zu versprühen.
Es ist ja nett, wenn Herr Augstein suggeriert, er nähme das Wort "Nationalsozialist" (Vulgo: Nazi) ernst, aber der reine Verweis auf diese Idee des "Ethnopluralismus" reicht höchstens aus, um die Gruppierung als national-konservativ zu stigmatisieren, wenn man das denn unbedingt will. Auch Carl Schmitt und Martin Heidegger sind meines Wissens noch nicht vom Zeitgeist zu Nazis umetikettiert worden, und man müsste Herrn Augstein selbst fragen, ob er das eventuell hilfreich fände.
Zumindest schwadroniert er fröhlich weiter, dass die Identitären den "Traum eines modernen Faschismus" leben, womit sie schonmal keine Nationalsozialisten sein können, wenn man denn schon vorsichtig mit dem Begriff "Nazi" sein muss.
Wozu mangelnde Vorsicht nämlich führen kann, hat @oululahti neulich in einem wertvollen Kommentar zu meinem letzten "Nazi-Artikel" am Fall Österreich geschildert. Es entsteht da eine "Neue Rechte", die sich überhaupt nicht vom Begriff "Nazi" angesprochen fühlt, schon garnicht aus dem Munde eines roten Sozis.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn ein Linker einen Rechten als Nazi beschimpft und der sich nichtmal angesprochen fühlt, weil er nicht so links wie die Nationalsozialisten ist und sich als Fascho auch noch als eine Art Hitler-Widerstandskämpfer sieht.
Gegen diese "Neue Rechte" ist die ganze linke Rhetorik noch wirkungsloser als früher und es bleibt den linken Interventionisten wieder nur die lautere Stimme als ihre völkischer gesinnten Kollegen zu haben, denen es um haargenau dasselbe geht, nur dass sie derzeit noch höflicher sind, weil sie ganz genau wissen, dass sie den Zeitgeist noch gegen sich haben.
Ich sitze wie üblich als Zuschauer dabei, sehe mir "Und täglich grüßt der Interventionist" an und frage mich ob ich vielleicht einfach würfeln soll, ob ich grad lieber linksinterventionistische Pest oder rechtsinterventionistische Cholera hätte.
PS:
Das Titelbild ist von den Identitären zur freien Verfügung ins Netz gestellt worden. Ich hoffe, die Verwendung braunen Bildmaterials befleckt mich nicht zu sehr.
http://www.identitaere-bewegung.de/presse/