In einer in der "Zeitschrift für Soziologie" veröffentlichten Studie haben Wissenschaftler der Universität Leipzig untersucht, warum die AfD gewählt wird. Dabei legten sie zwei - verbreitete - Thesen zugrunde. Nach der Modernisierungsverliererthese wenden sich vor allem Personen mit einem niedrigem sozialen Status gegen die "Fluchtzuwanderung [sic!] als Konkurrenzanstieg um Arbeitsplätze und Sozialleistungen". Nach der These der kulturellen Bedrohung betrachten Kommunitaristen (als Gegenspieler der Kosmopoliten) die "Flüchtlingszuwanderung [sic!] als Gefahr für die kulturelle Homogenität der Gesellschaft" und lehnen sie daher ab.
Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, daß jemand um so eher zur AfD neigt, je mehr er die Zuwanderung ablehnt. Die ablehnende Haltung in der Einwanderungsfrage ist sogar das grundlegende Abgrenzungsmerkmal ("kulturelle Spaltung") der AfD-Anhängerschaft von der anderer Parteien. Die "kulturelle Bedrohung" ist das entscheidende Motiv dafür, die AfD zu wählen. Interessant ist, daß Ostdeutsche doppelt so häufig als Konsequenz aus ihrer Ablehnung der Einwanderung die AfD wählen als Westdeutsche.
Außerdem würden Personen mit niedrigem sozialen Status und solche, die befürchten, ihren sozialen Status zu verlieren, häufiger mit der AfD sympathisieren. Die Forscher fanden heraus, daß der Anteil der Arbeitslosen unter den AfD-Anhängern fast dreimal so hoch ist und ihr Einkommen zudem niedriger als das der Vergleichsgruppe. Gleichzeitig rechnen sie mehr als die Hälfte der AfD-Anhänger der Mittelschicht zu. Auffällig war - uns das entspricht meinen persönlichen Erfahrungen -, daß der Anteil von Personen mit einem mittleren oder sogar einen höheren Bildungsabschluß über dem der Vergleichsgruppe liegt. Diese Faktoren spielen aber eher eine untergeordnete Rolle.
Natürlich befürchte auch ich einen Verlust, nämlich an Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung der Geschlechter, Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Friedfertigkeit und Sicherheit. Genau damit steht die überwiegende Zahl der Einwanderer nämlich offensichtlich auf Kriegsfuß, ganz besonders jene aus archaischen, muslimischen Kulturen.
Unterm Strich sieht die Studie die etablierten Parteien in einer Zwickmühle, aus der sie so leicht nicht entrinnen können. Allein durch Verteilungsgerechtigkeit können sie der AfD nicht den Wind aus den Segeln nehmen, da sich die Konflikte im Werteempfinden so nicht auflösen lassen. Deshalb habe die AfD das Potential, sich langfristig in der Parteienlandschaft zu verankern:
"Wenn es richtig ist, dass sich hinter der Unterstützung der AfD durch die Bürgerinnen und Bürger und den jüngsten AfD-Wahlerfolgen ein kultureller Konflikt über Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland verbirgt, dann deutet sich an, dass die AfD möglicherweise gute Chancen hat, sich im deutschen Parteiensystem langfristig zu etablieren. Denn Fragen des Ausmaßes von Zuwanderung, Vorstellungen zu Multikulturalismus oder zur deutschen „Leitkultur“, aber auch die Anerkennung von entstandardisierten Lebensformen und die Reichweite der Geschlechtergleichheit berühren den wertbezogenen Kern einer Vorstellung, wie Menschen zusammenleben wollen. Anders als reine Verteilungskonflikte lassen sich diese kulturellen Konflikte, in denen letztbegründete Überzeugungen aufeinanderprallen, nicht einfach durch politische Kompromisse stillstellen oder sogar lösen. Aber auch aus Sicht der Modernisierungsverliererthese würde Verteilungspolitik nur begrenzt wirksam werden. Denn nach dieser ist es eine essentielle Komponente der Identifikation der Bürger mit der AfD, Konkurrenz um Arbeitsplätze und Sozialleistungen durch Flüchtlinge abzuwehren. Diesen Konflikt kann reine Verteilungspolitik nicht befriedigend lösen."
Letztlich können - so die Leipziger Soziologen - die etablierten Parteien die Anhänger der AfD nur zurückgewinnen, wenn sie ihre Haltung in der Zuwanderungsfrage wenigstens teilweise aufgeben und sich auf die Positionen der AfD zubewegen. Da bestünde aber die Gefahr, daß sie zugleich Teile ihrer bisherigen Anhängerschaft verprellen. Die AfD müssen daher, um langfristig erfolgreich zu sein, nur die eigene, kommunitaristisch orientierte Klientel mobilisieren.
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