Geographie 023 - Biowaffenprogramm der UdSSR - Organisation

17. August 2018

Im zweiten Teil soll wie angekündigt auf die Organisation des sowjetischen Biowaffenprogrammes [6] eingegangen werden. Dies wird selbstverständlich auf eine einigermassen oberflächliche Weise geschehen, aber es wird möglich sein zu erkennen, wie verschachtelt die Sache aufgesetzt wurde. Ein Behelf sich das bildlich vorzustellen wäre eine Matrjoschka Figur, die viele weitere Figuren enthält. Würden die Figuren selbst leben, würden die äusseren wohl wissen, was alles in ihnen drin steckt. Nach aussen wissen sie aber nicht unbedingt, was alles läuft, aber untereinander können sie wiederum vernetzt sein. Eine ziemlich komplizierte Organisation ist sicherlich kein echtes Alleinstellungsmerkmal der Sowjetunion, wohl aber ihre zentralistische Struktur. Westliche Staaten neigen auch zu komplizierten Strukturen, aber das liegt auch daran, dass man bei einem republikanischen Aufbau stets gegenseitige Kontrolle realisieren will oder sollte.

Die Titelseite des Buches Biohazard, geschrieben von Ken Alibek [2].

In Ken Alibeks [1] Buch findet sich im ersten Anhang [2 - Seite 293] eine grosse schematische und hierarchische Darstellung, die zeigt, wie das Biowaffenprogramm im Jahre 1990 in den sowjetischen Staat eingebaut war. Diese Darstellung will ich hier etwas besser für Steemit angepasst reproduzieren und erklären. Im Buch ist sie vertikal und eine ganze Buchseite gross. Ich habe sie in zwei Teile geteilt und horizontal gezeichnet. Die erste Graphik enthält den Bereich der obersten politischen Leitung, die in der Sowjetunion aus der Parteispitze der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) [22] und der Regierung bestand, die sich aus Parteimitgliedern derselben einzigen Partei zusammensetzte. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und das Politbüro (russ. Политбюро ЦК КПСС - Politbjuro ZK KPSS) [23] waren demnach die höchsten Autoritäten im Land, obwohl es noch eine Regierung in Form des Ministerrates (russ. Совет министров - Sowjet ministrow) [24] mit Premierminister gab. Das oberste Legislativorgan, das auch die Mitglieder des Ministerrates wählte und dessen Präsident das formale Staatsoberhaupt der Sowjetunion war, der Oberste Sowjet (russ. Верховный Совет СССР - Werchownii Sowjet SSSR) [25], ist hier nicht erwähnt. Bezüglich des Themas Biowaffen ist die Legislative nicht von Bedeutung. Auf derselben Stufe wie der Ministerrat rangierte noch das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, welches von dem Parteitag gewählt wurde. Dieses unterhielt ein grosses Sekretariat [26].

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_{Erster Teil der Organisationsstruktur mit den höchsten Verwaltungsorganen der Kommunistischen Partei, der Regierung und der Akademie der Wissenschaften.}

Die Akademie der Wissenschaften der UdSSR [27] stand als die wichtigste akademische Vereinigung in der Sowjetunion einigermassen unabhängig da, da die Wissenschaft auch in von der Politik losgelösten Zeithorizonten funktionieren muss. Wobei die Geschichte um den (Pseudo-) Biologen Trofim Lyssenko (1898-1976) [28] zeigte, dass es einem politisch sehr gewandten Wissenschafter möglich war, die politische Führung so zu beeinflussen, dass diese Einfluss auf die Wissenschaft ausübte. Wegen Lyssenko wurden einige namhafte Biologen verfolgt, verhaftet und sogar getötet, weil sie von der noch heute akzeptierten wissenschaftlichen Theorie der Genetik überzeugt waren, im Gegensatz zu Lyssenko. Der Irrweg des Lyssenkoismus brachte die UdSSR in der Genetik nicht mehr aufholbar in Rückstand. Direkte Anordnungen aus dem Politbüro waren wohl doch eher selten, aber es fand ein steter Austausch ver Akademie mit den verschiedenen hohen Gremien statt. Unterhalb der Akademie rangierten die einzelnen wissenschaftlichen Institute und der Wissenschafts- und Technologie-Rat, der wohl eine Art Koordinationsstelle gewesen sein dürfte.

In der Ebene unterhalb des Ministerrates folgen drei verschiedene Einrichtungen. Zunächst die staatliche wirtschaftliche Planungsagentur GOSPLAN (russ. Государственная плановая комиссия - Gossudarstwennaja planowaja komissija) [29], die bis auf den Haushalt der Kommunistischen Partei nahezu alle Geldzuweisungen tätigen durfte und die Fünfjahrespläne der UdSSR herausgab. Die Militärisch-industrielle Komission (russ. ВПК = военно-промышленная комиссия - WPK = Wojenno-promischlennaja komissija) [30] diente als eine Koordinationsstelle zwischen militärischer und ziviler Industrie. Eine solche Komission gibt es auch im heutigen Russland. Interessant ist der Ausdruck für mich auch deswegen, weil der ähnliche Ausdruck militärisch-industrieller Komplex oder militärisch-industriell-medialer Komplex [31] meist in einer gesellschaftkritischen Absicht im Westen Verwendung findet. Als dritte Institutionen unterhalb des Ministerrates folgten die verschiedenen Ministerien, von denen in der weiter unten folgenden Graphik acht zu sehen sind. Wie viele weitere Ministerien es noch gab, ist mir nicht bekannt. Es geht hier auch um die Ministerien, die an dem Biowaffenprogramm mitarbeiteten.

Dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei unterstand der Geheimdienst KGB [14]. Dieser unterlag also der Kontrolle durch die Partei, nicht durch die Regierung. Die erwähnten Hauptdirektorate 1 und 3 betrieben gemäss Alibek biowaffentechnische Aktivitäten. Das erste Hauptdirektorat [20] ist wie in Teil 1 erwähnt heute als Auslandsgeheimdienst SWR [19] bekannt. Dazu gehört auch das bereits erwähnte Laboratorium Nr. 12 [8]. Das dritte Hauptdirektorat wird als Direktorat der militärischen Gegenspionage [32] bezeichnet. Da gab es offenbar auch eine direkte Allianz aus KGB und Roter Armee [33]. Gemäss Alibek sorgte das dritte Hauptdirektorat auch für die Tarnung der Standorte des Biowaffenprogramms und für Desinformation.

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_{Zweiter Teil der Organisationsstruktur mit den den Ministerien unterstellten Verwaltungsorganen.}

Diese Graphik soll weniger ausführlich erklärt werden als die erste, da die grundsätzliche Hierarchie schon bekannt ist. Über die sowjetischen Ministerien und eine Auflistung [34] gibt es bei der englischen Wikipedia einiges an weiterer Information, bei der deutschen Version gibt dazu nahezu nichts.

Zunächst sei das Verteidigungsministerium (russ. Министерство обороны СССР - Ministerstwo oboronii SSSR) [34] erwähnt, ein grosses Ministerium, welches weniger vom Ministerrat, als vielmehr von dem Hauptdirektorat für Aufklärung, dem Militärgeheimdienst GRU [21], dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und dem Obersten Sowjet kontrolliert wurde. Vorsitzender war entweder ein General der Roten Armee oder ein hoher Funktionär der Kommunistischen Partei. Dem Verteidigungsministerium unterstand das 15. Direktorat, welches für die Entwicklung und Produktion von biologischen Waffen verantwortlich war. Im Kriegsfall wären die biologischen Waffen von militärischen Einheiten wie den strategischen Raketenkräften oder der Luftwaffe zum Einsatz gebracht worden.

Trotz der Gründung von Biopreparat [16] im Jahre 1973 blieb dieses Direktorat in der Verantwortung über die Lagerstätten von Biowaffen und betrieb auch weiter Forschung. In Ken Alibeks Buch wird viel über die enge Zusammenarbeit zwischen Biopreparat und dem 15. Direktorat geschrieben. Jenen, die in den Forschungs- und Entwicklungslaboren und den Produktionsanlagen arbeiteten, war es im Prinzip nicht besonders wichtig, von wem genau sei geführt wurden, ob ihre Arbeit als militärisch oder zivil galt. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Arbeit global gesehen als illegal oder legal galt, die Aufträge wurden kommuniziert und ausgeführt.

Die offiziell zivile Behörde Biopreparat unterstand dem Ministerium der medizinischen Industrie (russ. Министерство медицинской промышленности СССР - Ministerstwo meditsinskoi promyschlennosti SSSR) [35], welches in den 1980er Jahren noch umbenannt wurde.

Weitere Ministerien, die direkt Standorte unterhielten, die dem Biowaffenprogramm dienten, waren das Gesundheitsministerium [36] und das Landwirtschaftsministerium, auch Volkskomissariat für Landwirtschaft (russ. Народный комиссариат земледелия СССР, Наркомзем - Narodnyy komissariat zemledeliya SSSR, Narkomzem) [37] genannt. Bei beiden ist es naheliegend, dass sie in das Programm involviert waren, da sie Entwicklung und Produktionsanlagen hatten. Auf einer Anlage des Landwirtschaftsministeriums, auf dem möglicherweise grosse Mengen Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel hergestellt werden, fällt es weniger auf, wenn noch mehr dasteht, als wenn man gesonderte Anlagen baut und diese als nicht zivile Rüstungsbetriebe gelten. Beim Gesundheitsministerium wurden sowohl mikrobiologische und epidemologische Untersuchungen durchgeführt, also auch solche über die physiologischen Auswirkungen der biologischen Waffen. Es wurden auch einzelne Toxine hergestellt und untersucht, wie sie gegen individuelle, menschliche Ziele zur Anwendung gebracht werden können.

Laboratorien und Produktionsanlagen mit hoher biologischer Sicherheitsstufe muss man seit längerer Zeit in ein weltweites Register eintragen. Natürlich kann man auch da nicht ehrlich sein, aber man hat spätestens dann ein Problem, wenn es in einer nicht deklarierten Anlage zu einem Unfall kommt, der eigentlich nur in einer höheren Sicherheitsstufe geschehen darf.

Das Ministerium für Chemische Industrie (russ. Министерство химической промышленности СССР, Минхимпром - Ministerstwo Chimitscheskoi promyschlennosti SSSR, Minchimprom) [38] war, wenn es um Waffen ging, mehr für die chemischen Versionen zuständig, aber auch für biologische Waffen bedarf es chemischer Forschung und der Bereitstellung von Chemikalien und entsprechender Infrastruktur.

Gebaut wurden einige der Anlagen des Biowaffenprogramms von Strafgefangenen, die Zwangsarbeit zu leisten hatten. Bewacht wurden die Anlagen von Angehörigen der inneren militärischen Streitkräfte, damit unerwünschte Besucher ausgeschlossen werden konnten. Beides wurde vom Minsterium für innere Angelegenheiten (russ. Министерство внутренних дел СССР, МВД - Ministerstwo wnutrennich del SSSR, MWD) [39] organisiert.

Dem Justizministerium (russ. Министерство юстиции СССР - Ministerstvo Yustitsii SSSR) [40] oblag es, die rechtlichen Angelegenheiten der Standorte und des Personals des biologischen Waffenprogramms zu regeln. Gemäss Alibek [2 - SEite 304] beinhaltete das auch, dass dafür eigens Strafverfolger, Anwälte, Richter und Gerichte eingeführt wurden.

Über das Ministerium für Aussenhandel (russ. Министерство внешней торговли СССР, Мивнешторг - Ministerstwo wneshnei torgowli SSSR, Minvneshtorg) [40] wurde Material aus dem Ausland beschafft, welches für das Biowaffenprogramm benötigt wurde. Das beinhaltete Material für die Labors, Produktionsanlagen und Versuchstiere. Dazu wurden entsprechende Verbindungsleute ins Ausland entsandt.

Eine Übersicht über die Standorte wird im dritten Artikel folgen, da ich aufgrund der Länge des zweiten entschieden habe, diesen noch einmal aufzuteilen.

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