In der heutigen Gesellschaft ist Wut das verpönteste Gefühl, welches wir kennen. Auf Unverständnis treffe ich, wenn ich Wut spüre. Denn, wenn nur ich wütend bin, was soll denn an der Situation schlimm sein? Für die anderen ist es ja nicht schlimm, also darf ich mir ja auch nichts anmerken lassen, ansonsten würde ich ja eingestehen, dass mich etwas triggert. Und sich triggern lassen ist ja auch sehr anmaßend. Desweiteren wird meine Wahrnehmung als falsch gedeutet, z.B. mit Aussagen wie "Hab dich nicht so". Diese Aussage stammt auch nur daher, wenn sich die Leute miteinander vergleichen. Doch jeder fühlt anders, jeder nimmt die Welt und sich selbst anders wahr. Es ist auch eine Art von Gaslighting, was dazu führt, dass ich auf mein Gefühl gar nicht mehr vertrauen darf.
Und wenn du es doch fühlst, wirst du weg ignoriert, verdrängt und zensiert. Selbstverständlich folgt darauf Ablenkung und Kompensation seitens derjenigen, die wegignoriert werden. Denn wenn die Wut nicht rausgelassen wird, es kein Ventil dafür gibt, dann muss die Wut auch anderweitig Raum bekommen bzw einen Kanal finden. Somit darfst du Wut nicht fühlen und dir auch selbst nicht eingestehen, dass du wütend bist.
Wenn du sozial angenommen werden willst in einer Gruppe, musst du immer nett sein und lächeln. Falls du das nicht kannst, dann wirst du rausgeschmissen.
Das liegt daran, dass die anderen nicht in der Lage sind ihre eigene Wut zu kontaktieren und somit auch nicht die Wut eines anderen Stand halten können. Sie können sich nicht in dieses Gefühl rein fühlen und sind somit in einer ganz anderen Realität als der Wütende. Damit haben sie kein Mitgefühl für dich, weil sie es mit sich selbst ja auch nicht haben. Dies macht den Wütenden noch wütender, da er sich in seinem Gefühl alleine fühlt und sich in ihm ein Druck aufbaut, dass er das nicht darf, dass etwas mit ihm falsch ist, weil er der Einzige ist, der es fühlt. Das bedeutet: Wenn jemand immer nur positiv drauf ist, so erzeugt er in dem anderen, der Kontakt zu seiner Wut hat, eine noch größere Wut. Denn sie muss raus und sucht sich den Kanal, selbst wenn es durch den anderen ist. Es ist wie, als würde man für den anderen mitfühlen.
Dabei ist Wut ein wichtiger Indikator, welcher nicht sinnlos da ist. Die Gefühle sind viel schneller als der Verstand es jemals sein kann. Die Gedanken des Verstandes verarbeiten die Situation zu langsam, braucht Tage und Monate bis er etwas fassen kann. Dann ist die Situation schon vorbei und jemand ist womöglich schon lange über deine Grenzen gegangen, weil du in dem Moment nicht dich selbst wahrnehmen konntest (weil du im Verstand bist und damit nicht im Hier und Jetzt) und somit dich nicht wehren konntest, wenn etwas grenzüberschreitend war. Und das aufgrunddessen weil du das Gefühl der Wut unterdrückst, die dazu da ist, dich zu schützen. Die Wut bringt also in dem Moment Klarheit, sodass du deine Grenzen wahren kannst, bevor jemand überhaupt es wagt sie zu überschreiten. Sie hilft dir in enorm kurzer Zeit, dass du dir gewahr wirst, dass gerade etwas nicht stimmt und handeln kannst bevor etwas schlimmes passiert.
Die Wut ist sinnvoll und darf sein. Einfach nur sein. Und klar ich bevorzuge es, dass ich die Wut kommuniziere bevor ich sie ausagiere. Doch lieber agiere ich sie aus, wenn ich nicht in der Lage bin sie zu kommunizieren, als das ich sie komplett verdränge bis irgendwann das Fass überläuft und dann eine Bombe platzt, was für alle Beteiligten äußerst unangenehm ist.
Mit der Verleugnung der Wut, verleugnest du dich auch selbst und die Werte, zu denen du eigentlich stehst.
Und gleichzeitig bettelst du ja danach, dass jemand deine Grenzen überschreitet, damit du wieder in Kontakt mit diesen Gefühl und dir selbst kommst.
Es gehört zu dir. Gefühle sind nicht da um verdrängt zu werden.
Denn wir sind da um zu fühlen und nicht nur um alles analytisch korrekt in Verstand begreifen zu müssen. Das Leben in allen Zügen zu fühlen und wahrzunehmen. Und da gehören eben auch Gefühle dazu, die als negativ abgestempelt worden sind, weil sie für den Gegenüber unangnehm sein können.
Darüber hinaus ist Wut auch ein wichtiger Antrieb. Es treibt an etwas zu tun und bringt somit Veränderung in starre Verhältnisse.
Lasst mich gern wissen was ihr so über Wut denkt und ob es für euch nur ein Nebelschleier ist, der die Wahrnehmung trübt :P
~charlissy