Die Digitalisierung als Einfallstor für den Abbau von Grundrechten? Dank der Pandemie funktioniert der gesellschaftliche Umbau bisher hervorragend - und weitgehend unbeobachtet.
Für die einen ist es ein Comeback nach 30 Jahren, für die anderen wird es ein völlig neues Gefühl sein, ein Leben unter der Lupe zu führen, von staatlichen Organen bei jeder Bewegung im Blick behalten, unbesorgt sein müssen, dass es eines Tages wie im Kinofilm kommt und man ohne Alibi dasteht, eine Überweisung nicht nachweisen kann oder die rechtzeitige Abgabe eines Formulars.
Hatte die größte große Koalition aller Zeiten im Jahr 2008 bei der Einführung der sogenannten Steuer-ID noch hoch und heilig versprochen, die Individualzahl für jedes einzelne Bürger*in nur im Rahmen des Besteuerungsverfahrens einzusetzen, ist zwölf Jahre und unendlich ausdauernde Bemühungen später endlich der Durchbruch gelungen. Im Schatten der Corona-Seuche haben CDU, CSU und SPD die "Steuer-ID" in eine Personenkennzahl verwandelt, mit der jeder Einwohner künftig von den staatlichen Behörden durch sein gesamtes Leben verfolgt werden kann.
Die Gelegenheit, das Versprechen von 2008 zu brechen und auch dem Bundesverfassungsgericht mal wieder deutlich zu machen, was Primat der Politik eigentlich meint. "Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und ihn damit wie eine Sache zu behandeln", hatten die Verfassungsrichter im Sommer 1969 über den Versuch geurteilt (BVerfGE 27,1,S.6), die Bürgerinnen und Bürger zu zählen und zu erfassen, im möglichst immer alles über sie zu wissen.
An Versuchen ließen es die Parteien auch danach nie fehlen. Jetzt endlich, im Schatten der Pandemie, klappt es.
Von der Wohnungsanmeldung bis zu Fahrzeugzulassung, von der Steuererklärung bis zum Arbeitsamt, von der Krankenkasse über die Rentenversicherung bis zu Polizei, Geheimdiensten, dem Zoll und den kommunalen Verwaltungen werden 83 Millionen Menschen zu einer zentral gespeicherten Zahl, hinter der sich ein unverwechselbares persönliches Profil aus Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort, Doktorgrad, Staatsangehörigkeiten und die Anschrift verbirgt. Dabei war genau diese Zuordnung und Nutzung eines solchen "einheitlichen Personenkennzeichen" als umfassendes Identifikationsmerkmal vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Volkszählungsurteil von 1983 für unzulässig erklärt worden...