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Mit einer Plakataktion will Olaf Scholz Aktivität an der Pandemiefront simulieren. |
Lange, vielleicht sogar das eine oder andere Jahr zu lange hat Deutschland darauf gewartet. Führung, klare Führung, einen an der Spitze, der unmissverständlich die Richtung vorgibt. Der bestimmt spricht, Kompromisse zwar aushandelt, dann aber dafür sorgt, dass die gemeinsamen Vereinbarungen bis in den letzten Zipfel des Landes umgesetzt werden, koste es, was es wolle und verstehe auch kaum noch jemand, was damit bezweckt wird.
Olaf, ein Anführer
Olaf Scholz ist so ein Mann, ein Anführer, ein Führer, ja. "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt Führung" hatte der Sozialdemokrat schon als Hamburger Bürgermeister ein Credo verkündet, an dem er seine Arbeit bis heute ausrichtet. Wie seine Vorgängerin Angela Merkel, die nie Volkstribunin war, mit dem "Flüchtlingszustrom" (Merkel) weitgehend in der Kulisse verschwand und die Pandemie dann aus der Unsichtbarkeit des Kanzleramt durchlitt, ist Olaf Scholz kein Typ für Marktplätze, für Reden auf Querdenkerdemos oder Besuche in bedrohten Altenheimen. Der 63-Jährige leitet den Kampf gegen die Seuche aus demselben Zimmer wie Angela Merkel, mit denselben ruhigen Gesten. Nur die Stimme ist noch etwas achtsamer geworden und die Sprache tastet vorsichtig nach Halt in der Realität.
Das kommt an draußen im Lande, wo viele große Hoffnungen mit dem ersten Sozialdemokraten im Kanzleramt seit der Schweinegrippe von 2009 verbinden. Sie alle haben Führung bestellt, sie alle wurden nicht enttäuscht: Vom zweiten Scholz'schen Impfversprechen über 30 Millionen ging es direkt zum dritten, Gas wurde grün, auf Atomkraft wird sich EU-Europa auch noch einigen, die ersten Pläne für bessere Zahnbürstenbatterien, für höhere Fleischpreise, mehr Windräder und mehr Warnungen an Russland wurden auch schon vorgelegt.
Bilanz ohne Ergebnisse
Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann, auch wenn es vorerst noch an greifbaren Ergebnissen mangelt. Bei Corona hingegen sind die Erfolge greifbar: Der vor Weihnachten eingeschlagene Kurs, gelockert zu verschärfen, die Omikron-Welle durchrauschen zu lassen, verbal aber auf der Barrikade zu bleiben und dazu die Gastronomie symbolisch wegzuknebeln und in den Bundesligastadien nur noch die Haupttribünen pickepackevoll zu belegen, hat sich als goldrichtig herausgestellt. Auch die Ankündigung der Impfpflicht sorgt für hanseatisch klare Kante: Zuletzt ließen sich allein an einem Tag in ganz Deutschland 90.000 Menschen spritzen. Ein kleiner, ganz kleiner Schritt auf dem Weg zum Impfziel der Ampel, für das täglich 1,5 Millionen Impfungen nötig waren. Aber wenn man das medial nicht an die große Glocke hängt, ist es nicht ganz so schlimm.
So kann es weitergehen, hat auch die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, jenes Notfallgremium, das seit zwei Jahren als Ersatzparlament tagt. Mit der Botschaft, dass es vorerst "Keine weiteren Lockerungen der Corona-Maßnahmen" (DPA) geben werde, setzten die auch als "Bund-Länder-Beratungen" bezeichneten Verhandlungen zur Corona-Lage ein klares Zeichen. Schon zuvor hatte es keine Lockerungen gegeben, dass es nun "keine weiteren" geben wird, war so erwartet worden, denn auch diese Bundesregierung marschiert wankend durch völlig unbekanntes Gebiet.
Unwissend in die Krise
Weder ist bekannt, wie die wahren Inzidenzen aussehen noch, wie wirksam oder unwirksam die Impfungen sind. Über die Verbreitung von Omikron herrscht völlige Unklarheit, die Verfolgung von Corona-Kontakten, in den ersten Monaten der Pandemie das Lebenselixier der Seuchenpolitik, ist bundesweit eingestellt worden. Nun zu beschließen, dass es PCR-Test nicht mehr für alle geben soll, weil die Kapazitäten in dieser kritischen Infrastruktur einfach nicht reichen, erscheint nur logisch: Das konnte niemand wissen. Damit hat niemand gerechnet. Und wer jetzt Covid hat, ohne es zu bemerken, der ist nicht mehr "asymptomatisch erkrankt", sondern symptomlos nur ganz, ganz wenig ansteckend.
Eine der Eigentümlichkeiten der "hochansteckenden Omikron-Variante" (Olaf Scholz), die auf die "hochansteckene Delta-Variante" (Lauterbach) folgte, nur schlimmer. Nun droht nicht mehr die traditionelle "Überlastung der Intensivstationen" und auch nicht nur die "Überlastung der Krankenhäuser", sondern wegen der vielen Menschen, die nicht krank sind, aber auch nicht raus dürfen, eine Überlastung von allem - von Gesundheitssystem bis Nahverkehr, von Gütertransport bis Nahversorgung.
Weder noch aber mehr Werbung
Weil so viele auf der Straße sind, vorerst also keine "weitergehenden Maßnahmen zur Infektionskontrolle", keine Tempoverschärfung bei Impfpflichtdrohung und keine Andeutungen dazu, ab wann ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen nach Einführung der "einrichtungsbezogenen Impfplflicht " am 15. März nun tatsächlich nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen. Anstelle dessen sollen erste Überlegungen angestellt werden, um "Öffnungsperspektiven zu entwickeln für den Moment, zu dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden kann" (Olaf Scholz).
Flankieren wird die Bundesregierung die neue Phase im Pandemiekrieg mit einer neuen Impfkampagne. Als Höhepunkt seines Auftrittes zur Vorstellung der Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenz stellt Olaf Scholz selbst erste aufrüttelnde Plakatmotive vor. In Zartgrün und Zartblau zeigen die Plakate ergreifende Sprüche rund um das zentrale Motto "Impfen hilft". So etwa "Impfen hilft - auch allen, die es nicht mehr hören können" und "Impfen hilft - auch allen, die du liebst".