Liebe Musikliebhaber,
falls Ihr Alma Deutscher nicht kennt, hier eine Kurzbiografie über die junge Künstlerin, die nicht nur in musikalischer Hinsicht sehr interessant ist, sondern es gibt auch eine politische Komponente!
Die heute 18-Jährige wurde in England mit jüdischen Wurzeln geboren und lernte schon mit zwei Jahren klavierspielen und im Alter von drei Jahren Geige. Sie konnte Noten lesen, bevor sie Buchstaben lesen konnte!
Mit 4 begann sie bereits, erste Kompositionen zu verfassen. Mit anderen Worten, sie ist ein echtes musikalisches "Wunderkind".
Unterrichtet wurde sie, bis sie 16 war, zu Hause. Ihre Eltern hatten früh erkannt, dass Almas überbordende Kreativität Teil ihres Wesens war und in einer Schule nicht hätte ausgelebt werden können. Ausserdem hatte Alma mit 12 in einem Interview gesagt: "I think that I learn at home in one hour what it would take at school five hours to learn".
Vor 5 Jahren zog sie nach Wien und studiert hier seit 2021 an der mdw das Dirigieren. Sie hat bereits mehrere internationale Orchester dirigiert, darunter das Royal Philharmonic Orchestra, etliche internationale Auftritte wie etwa in der Carnegy Hall und auch viele Sonaten, Konzerte und auch mehrere Opern komponiert. Für eine erst 18-Jährige ist das eigentlich unglaublich.
Dass sie wiederholt mit Mozart verglichen wurde, ärgert sie: "I don't really want to be a second Mozart. I want to be a first Alma".
Unlängst konnte ich mich anlässlich einen Konzertes im Wiener Konzerthaus selbst von ihrem Auftritt überzeugen. Obwohl ich nicht gerade ein Walzerfan bin, hat mir dieses Potpourrie an Vertrautem (Werke von Johann Strauß, Mozart und Rossini) sowie Kompositionen von Alma Deutscher sehr gefallen, mehr aber noch die Souveränität und die Energie, die Alma beim Dirigieren ausstrahlte. In einem Auszug aus ihrem Violinkonzert spielte sie Geige und dirigierte gleichzeitig. In einer Improvisations-Performance liess sie von Publikum 4 Noten aus einem Hut ziehen und spielte nach ca. zweiminütigem Nachdenken auf dem Klavier eine Improvisation dazu.
Hier ihr "Sirenenklänge"-Walzer, den sie 2019 schrieb, inspiriert von den "hässlichen Wiener Polizeisirenen". Man beachte ab ca. 03:45 den Übergang von Sirenen zu etwas Neuem, wie ein Schmetterling, der aus einer Raupe schlüpft. Sehr gelungen!
Vor Beginn des Stückes sagt Alma:
"Some people have told me that nowadays melodies and beautiful harmonies are no longer acceptable in serious classical music. Because in the twenty-first century, music must reflect the ugliness of the modern world. Well, in this waltz, instead of trying to make my music artificially ugly in order to reflect the modern world, I went in exactly the opposite direction! I took some ugly sounds from the modern world - and I tried to turn them into something more beautiful through music."
Und damit komme ich zu der oben angekündigten politischen Ebene. Alma Deutscher hat sich bisher hartnäckig geweigert, die für die heute moderne Musik typischen Dissonanzen zu verwenden, sondern auf ins Ohr gehende Harmonien und gefällige Melodien zu setzen - eine Ausnahme im modernen Kunstbetrieb. Beim Publikum kommt es an, aber es hat ihr auch Einiges an Kritik eingebracht. Ein Kritiker meinte, die Aufgabe moderner Künstler sei es, dem Publikum nicht zu geben, was es wolle, sondern was es brauche. Für jemanden, der so denkt, muss Almas Musik tatsächlich eine Provokation sein! Einen anderen (deutscher Staatsbürgerschaft, was sonst) erinnerte Almas neue Oper "Des Kaisers neue Walzer", in der sie die melodielose Welt der zeitgenössischen Musik ordentlich aufs Korn nimmt, gar "an die Agitation gegen die sogenannte "Entartete Musik""! Er wirft Alma, die im Programmheft sagt, sie wolle keinen bestimmten Kollegen parodieren, sondern die vorherrschende "Ideologie" in der zeitgenössischen Neuen Musik, vor, das aber sei selbst Ideologie, und leider eine "verhängnisvolle" (Quelle). In einer Antwort auf diesen absurden wie bösartingen Vorwurf meinte sie, dass es "nicht sehr gescheit" sei, wenn man versucht, "ein jüdisches Mädchen mit Nazivergleichen zum Schweigen zu bringen".
Mir scheint, wie im Märchen "Des Kaisers neue Kleider" ist Alma das Kind, das die Wahrheit sagt und all die Erwachsenen blamiert und vorführt, die sich vermeintlich im Besitz der Meinungshoheit befinden. Chapeau für diesen Mut!
https://db.musicaustria.at/en/node/203176
Was hält Ihr davon? Darf moderne Musik harmonisch sein und warum glaubt Ihr, ist die Häßlichkeit (nicht nur in der Musik, in der bildenen Kunst ist es nicht viel anders) heute die Norm? Und warum widersetzen sich nicht mehr Künstler dem Häßlichkeitsgebot? Etwa weil es viel einfacher ist, etwas Häßliches zu erschaffen als etwas Schönes (was meine Theorie dazu ist)?
Mehr über Alma, Quelle der Zitate:
https://en.wikipedia.org/wiki/Alma_Deutscher,