Liebe Leser,
im vorigen post war so viel Häßliches und Destruktives, da sollte eine Art Ausgleich her.
Daher im Folgenden eine kurze Anektote über den berühmten Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924), über die ich heute durch Zufall stolperte:
"1923, als er 40 Jahre alt war, schlenderte Kafka, der selbst keine Kinder hatte, durch den Berliner Steglitz-Park, als er ein junges Mädchen traf, das bitterlich weinte, weil es seine Lieblingspuppe verloren hatte. Sie und Kafka suchten erfolglos nach der Puppe. Kafka sagte ihr, sie solle ihn am nächsten Tag dort treffen und sie würden wieder suchen.
Am nächsten Tag, als sie die Puppe immer noch nicht gefunden hatten, gab Kafka dem Mädchen einen von der Puppe „geschriebenen“ Brief, in dem stand: „Bitte nicht weinen. Ich bin auf eine Reise gegangen, um die Welt zu sehen. Ich werde dir von meinen Abenteuern schreiben.“
Drei Wochen lang ging Kafka allmorgendlich in den Park und erzählte dem Kind von den lustigen und aufregenden Abenteuern seiner Puppe (er las ihr die Briefe vor, da sie noch nicht lesen konnte). Das Mädchen fand sie bezaubernd. Schließlich las Kafka ihr einen Brief mit der Geschichte vor, die die Puppe nach Berlin zurückbrachte, und er schenkte ihr dann eine Puppe, die er gekauft hatte.
„Die sieht meiner Puppe überhaupt nicht ähnlich“, sagte sie. Kafka übergab ihr einen weiteren Brief, in dem er erklärte: „Meine Reisen, sie haben mich verändert.“ Das Mädchen umarmte die neue Puppe und nahm sie mit nach Hause. Ein Jahr später starb Franz Kafka.
Viele Jahre später fand das nun erwachsene Mädchen einen Brief in einer unbemerkten Spalte der Puppe. In dem winzigen, von Kafka unterschriebenen Brief stand: „Alles, was du liebst, geht wahrscheinlich verloren, aber am Ende wird die Liebe auf eine andere Art zurückkehren.“
Quelle, leicht verändert
Bis heute ist keiner dieser Briefe aufgetaucht, auch hat sich trotz mehrerer Versuche das Mädchen nie ausfindig machen lassen. Die Quelle der Geschichte ist Kafkas letzte Lebensgefährtin Dora Diamant (1948 in englischer Sprache veröffentlicht), die Kafka auch bis zu seinem Tod durch Tuberkulose gepflegt hatte. Möglicherweise waren die Briefe unter den Texten, die 1933 von der Gestapo aus Dora Diamants Wohnung in Berlin konfisziert worden waren (Quelle). Wir werden vermutlich nie wissen, ob sich diese Geschichte so zugetragen hat oder ausgedacht worden war.
Die Geschichte zeugt von der Hingabe des Künstlers, für den jeder einzelne Leser zählte. Dora Diamant dazu: "Wenn Kafka schrieb, dann gab er sein Bestes: Die Briefe an das kleine Mädchen waren für Ihn so wesentlich wie sein literarisches Werk" (Quelle).
Sie zeugt auch von Empathie, Nächstenliebe und von der Kraft, die eine kleine Lüge haben kann.