Liebe Leser und Fußballfreunde,
alle 4 Jahre gibt es eine Fußball-WM, und alle 4 Jahre kommt ein eigens dafür entworfener Ball heraus!
Bei der WM 2026, die erstmals in drei Ländern (Kanada, Mexiko und USA) und mit 48 Mannschaften ausgetragen wird, ist es der Adidas "Trionda" (Tri für 3 wg. der drei Länder)!
Im Mai 2025 sind erste Fotos veröffentlicht (bzw. geleakt) worden, im Okt./Nov. dieses Jahres soll er dann für 170 USD/150€ erwerbbar sein.
Quelle
Geometrie
Fußbälle sind im Prinzip Vielecke (weil sie aus Einzelteilen zusammengesetzt sind) und sollten so regelmäßig wie möglich sein. Die meisten Balldesigns bisher sind von den "platonischen Körpern" inspiriert worden, also dreidimensionale Körper, die ausschließlich aus kongruenten (deckungsgleichen), regelmäßigen Vielecken bestehen.
Die 5 platonischen Körper:
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Z.B. der seit den 1970ern bekannte Designklassiker "Telstar" ist nichts anderes als ein Ikosaeder, dessen 12 Spitzen so abgeschnitten wurden, dass daraus Fünfecke wurden, die annähernd gleich groß sind wie die übriggebliebenen 20 Sechsecke dazwischen:
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Der "Brazuca" von 2014 war da um Einiges ausgefallener. Er stammt von einem Würfel ab, dessen 6 Seitenflächen so abgeändert wurden, dass daraus vierflügelige "Propeller" wurden. 6 dieser kongruenten Panels (so wenig wie nie zuvor) bilden den Ball.
Der Trionda ist ganz ähnlich, aber basiert auf einem Tetraeder, dessen 4 Flächen ebenfalls zu propellerartigen Gebilden geändert wurden. Mit nur 4 Panels ist er damit rekordverdächtig minimalistisch.
Quelle
Einen Tetraeder als Ausgangsbasis zu nehmen, war sicher eine riskante Entscheidung von Adidas. Erinnert Ihr Euch noch an den "Jabulani" von der WM in Südafrika 2010? Der basierte auch auf einem (abgeschnittenen) Tetraeder, wobei dessen 8 Panels noch zusätzlich abgerundet wurden (und erstmals nicht vernäht, sondern thermisch verschweisst). Es entstand der "rundeste" Ball aller Zeiten (Quelle).
Quelle
Aber gerade der Jabulani kam bei vielen Spielern nicht gut an. Die Rede war von unberechenbarem Verhalten und davon, dass er zu rund sei und zu sehr "flattere". Das Verhalten eines Balles in der Luft ist kompliziert, und damit kommen wir zur Physik!
Physik
Aerodynamisch gesehen ist die Kugelform des Fußballs eigentlich eine Katastrophe! Ein ganz runder Ball ohne Nähte wäre für Fußball vollkommen ungeeignet. Scharf und direkt geschossen, fliegt ein solcher Ball unvorhersehbar - er "flattert" (engl. wobble). Er torkelt plötzlich oder stürzt sogar ab. Angeschnittem, also mit Drall (Effet) angeschossen, rotiert ein Ball und Flattereffekte sind viel geringer, weil die Rotation den Ball stabilisiert (der Lauf von Schußwaffen hat daher auch Züge - spiralförmige Rillen, die das Projektil in Rotation versetzen und so die Flugbahn stabiler machen).
Nicht nur der Drall, auch die Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor: Je schneller sich ein Ball bewegt, desto größer ist der Luftwiderstand, der ihn bremsen und seine Flugbahn verändern kann, aber nur bis zu einer „kritischen Geschwindigkeit“. Bei deren Überschreitung nimmt überraschenderweise der Luftwiderstand wieder ab, und zwar deutlich (Erklärung dafür hier). Je glatter ein Ball ist, desto höher ist seine kritische Geschwindigkeit. Daher haben Golfbälle Vertiefungen auf ihrer Oberfläche: Sie machen ihn "rauer", senken so die kritische Geschwindigkeit und helfen den Bällen somit, sich insgesamt schneller durch die Luft zu bewegen. Runder und glatter ist also nicht besser, das könnte das unvorhersehbare Verhalten des Jabulani erklären.
Der Trionda-Ball hat auch Vertiefungen in seiner Oberfläche bekommen, um den Luftwiderstand zu minimieren. Ballkonstrukteure verwenden eine Kombination aus Oberflächenstruktur, Nahtlänge und Nahttiefe, um genau das richtige Maß an „Rauheit“ zu erreichen, auch die Platzierung der Nähte beeinflusst die Zuverlässigkeit eines Balls in der Luft. Der Jabulani hatte wegen seiner Asymmetrie auf der einen Seite weniger Nähte (bzw. Furchen) als auf der anderen und daher "2 Gesichter", was bei langsamer Rotation eine zusätzliche seitliche Kraft entstehen liess und so zu seiner Unberechenbarkeit beigetragen haben könnte. Adidas hatte das Problem zwar erkannt und mit sogenannten "Aero Grooves" (längliche Noppen, die die gesamte Balloberfläche bedecken) zu lösen versucht, aber offenbar ist das nicht völlig gelungen.
Wenn ein Ball schnell durch die Luft fliegt, spielt die Platzierung seiner rauen Elemente eine geringere Rolle - der Ball bewegt sich so, als wären diese Merkmale gleichmäßig verteilt, weil er meistens eine minimale Eigenrotation hat. Wenn der Ball aber ohne Drall getreten wird, erfahren seine raueren Bereiche einen anderen Luftwiderstand als die glatteren, wodurch er sich unvorhersehbar bewegt. Dieser Effekt ist zwar gut für einen Baseball-Pitcher, der den Ball für den Schlagmann unberechenbarer machen möchte, aber nicht für einen Fußballspieler, der möchte, dass der Ball genau dorthin fliegt, wo er hinzielt (z.B. ins Kreuzeck). Um diesen sogenannten „Knuckleball-Effekt” zu vermeiden, versuchen die Balldesigner, die Bälle so symmetrisch wie möglich zu gestalten. Die Symmetrie ist ein Punkt, der Experten auch beim Trionda-Ball Sorgen bereitet. Da er auf einem Tetraeder basiert und nur aus 4 Panels besteht, weist er weit weniger Symmetrien auf als der klassische Telstar-Ball. Der Telstar-Ball hat 60 Symmetrieachsen, der Trionda nur 12!
Neben dem Knuckleball- gibt es noch den "Magnus-Effekt". Hinter einem rotierenden Ball entsteht eine asymmetrische Wirbelschleppe. Sie sorgt dafür, dass rotierende Bälle um die Kurve fliegen und eine "Bananenflanke" entsteht (genauere Erklärung des Effekts hier).
Es bleibt letztlich abzuwarten, welche Flugeigenschaften der Trionda haben wird, wie sich das Wetter (Regen, Winde) auswirkt, wie die Schußtechniken der Spieler (schnelle/langsame Rotation) - es ist so gut wie unmöglich, alle Effekte vorherzusagen. Der Hersteller ist dabei auch nicht hilfreich, denn er gibt nie irgendwelche Normdaten an, welchen Luftwiderstand ein Ball bei welcher Geschwindigkeit hat. Man kann nur hoffen, er wurde ausreichend getestet und man hat aus den Fehlern beim Jabulani gelernt...
Warum überhaupt alle 4 Jahre ein neues Balldesign? Um den Umsatz zu steigern? Das auch, aber begründet wird es mit der Tradition, das Gastgeberland ins Balldesign mit einfliessen zu lassen und auch, weil die Technologie Fortschritte macht (die modernen Bälle mit der Polyurethanschicht außen nehmen z.B. weit weniger Wasser auf als die früheren Lederbälle).
Quellen:
https://www.footyheadlines.com/2024/11/2026-world-cup-ball.html
https://www.scientificamerican.com/article/the-surprising-math-and-physics-behind-the-2026-trionda-world-cup-soccer-ball/
https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/wm-spielgeraet-jabulani-der-ball-ist-schrecklich-furchtbar-a-692795.html