Liebe Leser,
den Stephansdom, das Wahrzeichen Wiens, hatte ich bis jetzt schmählichst ignoriert (bis auf einen kurzen Beitrag über die Pummerin, die heute im Nordturm hängt und eine der größten freischwingend geläuteten Glocken der Welt ist).
Einen Post zu schreiben, der dem Stephansdom gerecht wird, ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit. Zu lang würde es werden (und nur wenige interessieren), die wechselvolle Geschichte dieser Kathedrale darzustellen, seine romanischen Vorgänger (erste Teile stammen aus dem 13.Jhd.!), seine umfangreiche Zerstörung durch aliierte Fliegerbomben im 2. Weltkrieg und der sofort begonnene Wiederaufbau bis 1960. Von der kunsthistorischen Beschreibung ganz zu schweigen! Daher will ich nur ein paar Aspekte beleuchten, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.
Benannt ist er übrigens nach dem Hl. Stephanus. Dieser Märtyrer wurde 40 nach Chr. vor den Toren Jerusalems zu Tode gesteinigt.
Fassade
Im Gegensatz zu Aufnahmen von früher (z.B. hier), auf denen die Spuren der Umweltverschmutzung noch als dunkle Verfärbungen zu sehen waren, erstrahlt die Kalksandsteinfassade nach der fast abgeschlossenen Restaurierung wieder ganz hell, zumindest von dieser Seite. Die Steine der Fassade wurde aus dem Leithagebirge bezogen, es sind noch die Rechnungen erhalten (von 1404 bis 1476)!
Der kleine Vorbau vorne (noch dunkel verfärbt und mit grünspanfarbenem Dach) ist die Dombauhütte, bzw. der Rest, der nach dem Brand 1945 noch übrig blieb: Hier wird repariert, restauriert und Kopien von Originalteilen erstellt.
Rechts der 136,4m hoch Südturm, der zwischen 1359 und 1433 entstand - eine Meisterleistung der Hochgotik.
Das gotische Adlertor auf der Nordseite, unterhalb des (nicht fertiggestellten) Nordturmes. Der Bau des Nordturm, der auch über 130m hoch werden sollte, begann 1467 und dauerte bis 1511.
Aufgrund religiöser Konflikte (Wien war vorübergehend protestantisch geworden) und der drohenden Türkeninvasionen verlegte man sich danach auf die Ausbesserung der Stadtmauer. Der Turm wurde nur knapp 68,3m hoch und abgeschlossen von einer Renaissancekuppel mit einem Doppeladler an der Spitze, daher der Name Adlerturm.
Das romanische Hauptportal auf der Westseite wurde zwischen 1230 und 1250 gebaut und gilt als einer der ältesten und bedeutendsten Teile der Kirche.
Die vielen Tafeln, die links und rechts des Tores hängen, erinnern an die Nutzung des Stephansplatzes als Friedhof.
Der Ausblick auf das auch "Riesentor" genannte Trichterportal wird leider durch einen Taubenschutz behindert.
Das rechts neben dem Riesentor eingravierte (ursprünglich weiß aufgemalte) "O5" war ein Zeichen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. 5 steht als 5. Buchstabe für E, zusammen ist es OE, also Österreich!
Die Chiffre wurde von einer überparteilichen Widerstandsbewegung benutzt. Die Gruppe wurde aber von den Sowjets nach ´45 de facto aufgelöst und auch von den Parteien SPÖ und ÖVP, die nach Kriegsende um die Vorherrschaft rangen, gab es kein Interesse an unliebsamer Konkurrenz!
Die sog. Capistrankanzel außen an der Ecke des Nordchors wurde ursprüngl. zwischen 1430 und 1450 gebaut. Sie erinnert an den Franziskaner Johannes Capistrano, einen Prediger, der unter anderem vor der Bedrohung des Christentums durch den Vormarsch der Osmanen warnte.
1453, nach dem Fall von Konstantinopel, rief er in Wien zum Kreuzzug gegen die Osmanen auf, und half 1456 mit von ihm gesammelten Truppen bei der Befreiung des belagerten Belgrads.
Nach seiner Heiligsprechung 1690 wurde die Kanzel renoviert und umgestaltet. Die Statue des Heiligen steht seither - nicht gerade politisch korrekt - auf einem besiegten Türken.
Innen
Blick vom Hauptschiff in Richtung Hochaltar und hinauf zum Netzrippengewölbe.
Teilansicht der Westemporen-Orgel, auch Riesenorgel genannt (weil sie über dem Riesentor liegt und auch riesig ist). Sie löste erst 2020 die aus 1960 stammende, umstrittene Kaufmann-Orgel ab (die schon zu ihrer Einweihung klanglich enttäuscht hatte und teils aus minderwertigem Nachkriegsmaterial bestand). Sie ist insg. 14m breit und 20m hoch. Die schwerste der 8588 Pfeifen wiegt 650kg!
Zu ihrer Weihung hatte Kardinal Schönborn gesagt, damit sei der Wiederaufbau des Doms nach 75 Jahren (1945-2020) endgültig abgeschlossen!
Streng genommen hört die Arbeit am Stephansdom aber nie auf, denn ein Restaurationszyklus dauert ca. 40 Jahre. Danach muss man von vorne beginnen, da der Kalksandstein ständig ausgebessert werden muss. Z.B. durch rostende Eisenverstärkungen entstehen oft Schäden am Gestein (Rost braucht mehr Platz als Eisen und kann den Stein daher sprengen).
All die Kostbarkeiten des Kircheninneren zu zeigen, dass muss für ein anderes Mal vorbehalten sein...
Türmerstube
Über 343 Stufen (das sind genau 7x7x7 Stufen, kein Zufall) des Südturms gelangt man (nachdem man 5,5€ bezahlt hat (cash only!)) in die 46m2 große Türmerstube, die sich in 72m Höhe befindet. Die Aufgabe des Türmers war, Ausschau nach Feuern zu halten. Auch meldete er verdächtige Bewegungen bei der 2. Türkenbelagerung und half so, die Stadtverteidigung bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Die Feuerwache wurde bis 1955 ausgeübt! Aber einen Türmer gibt es heute noch - er betreut den kleinen Souveniershop und gibt manchmal nach unten durch, wenn der Andrang zu groß ist (bis zu 800 Touristen pro Tag besuchen diesen Ausguck).
Der Ausblick ist sehenswert, hier der Blick nach Norden.
Wie Ameisen wirken die sich am Stephansplatz tummelnden Touristen.
Rechts ist das auffällige, 110m lange Dach zu sehen, das gedeckt ist mit ca. 240000 bunten Dachziegeln, die je 2,5kg wiegen. Das Muster wurde originalgetreu nach den ursprünglichen Plänen in den 1950er Jahren rekonstruiert. Der Dachstuhl ist heute eine 600t schwere Stahlkonstruktion, der ursprüngliche Lärchenholz-Dachstuhl aus dem 15. Jhd. war 1945 komplett abgebrannt.
Von ganz oben ging es dann ganz nach unten:
Die Katakomben
Nur über eine Führung (Kosten 6€, in bar) sind die Bereiche unter der Kirche zu besichtigen, beginnend bei der Herzogsgruft, in der viele Habsburger ihre letzte "Ruhestätte" haben, und die sich genau unter dem Hochaltar des Doms befindet. Hier der Kupfersarg von Rudolf IV. (1339–1365) und seiner Frau Katharina von Luxemburg (1342–1395).
Ich denke, beide wären entsetzt gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass sich stündlich ein Rudel von Touristen in der relativ engen Kammer versammelt, um die immer gleiche Geschichte des Führers über ihrer Leben und Werk zu hören.
Rudolf IV., Erzherzog von Österreich, genannt der Stifter, liess nicht nur das "Privilegium Maius" anfertigen, eine der geschicktesten Urkundenfälschungen des Mittelalters, die den Habsburgers eine Reihe von Sonderrechten einräumte, sondern er liess den Stephansdom und die Herzogsgruft ausbauen und gründete 1365 auch die Universität Wien, die heute noch Alma Mater Rudolphina heißt und die älteste Universität im deutschen Sprachraum ist.
Von 1362 bis 1566 benutzt, geriet die Herzogsgruft in Vergessenheit und wurde erst 1645 durch einen Zufall von einem Kammerdiener wiederentdeckt. Danach wurde es unter den Habsburgern üblich, dass sie ihre Eingeweide (in Tüchern umwickelt und in Spiritus eingelegt) getrennt bestatten liessen und so finden sich in der Herzogsgruft viele Eingeweideurnen, während die Herzen und anderen Teile in der Augustinerkirche und in der Kapuzinergruft begraben liegen. Dieser Brauch endete erst im 19.Jhd., weil sich dann modernere Bestattungsmethoden durchsetzten.
Die heute noch genutzte Bischofsgruft, in der die Erzbischöfe von Wien und der obere Klerus bestattet werden. Eine Nische ist für den derzeitigen Erzbischof von Wien, Christoph Schönborn, schon freigahalten.
Dieser älteste Teil der Katakomben sieht heute wesentlich moderner aus, da die Herzogs- und Bischofsgruft seit dem 17.Jhd. konstant benutzt und daher oft umgestaltet bzw. renoviert wurden. Die sogenannten "neuen Grüfte" wurden dagegen erst ab 1745 angelegt und liegen nicht direkt unter dem Dom, sondern unter dem Stephansplatz. In ca. 30 Grabkammern wurden hier an die 12000 Leichname unterirdisch deponiert, weil ein herkömmlicher Friedhof innerhalb der Stadtmauern verboten worden war, die Menschen aber trotzdem in der Nähe einer Kirche begraben sein wollten (daher auch am Land immer die Friedhöfe neben der Kirche - zumindest in Österreich ist das sehr üblich). In jede Kammer wurden 400 Särge teils über Rutschen direkt von oben herabgelassen, bis zur Decke gestapelt und dann zugemauert, wenn sie voll war.
Diese Praxis wurde aber schon 1783 verboten, da durch die hohe unterirdische Luftfeuchtigkeit die Särge rasch verrottenen und sich ein intensiver Verwesungsgestank bis in den Dom verbreitete, der die Gottesdienste unmöglich machte.
Blick in eine dieser Kammern, die heute noch zugänglich sind. In den Katakomben herrscht Fotografierverbot, daher habe ich keine besseren Aufnahmen machen können, ohne erwischt zu werden.
Hier sieht man noch Sargreste.
Im Zuge von archäologischen Ausgrabungsarbeiten entdeckte Gebeine fanden hier ihre letzte Ruhe.
Das Highlight war aber für mich etwas, das gar nicht Teil der Führung war:
Der Sankt-Stephan-Kugelspringer (Megalothorax sanctistephani)
Dieser Springschwanz wurde erst 1998 entdeckt (Link zur Erstbeschreibung), und zwar nur in einem einzigen Raum der Katakomben, daher der ungewöhnliche Name. Der knapp 0,4mm große Endemit lebt in den winzigen Hohlräumen des Schotters, den die Donau während der Eiszeit abgelagert hat und der den Boden der Katakomben unter dem Stephansdom bildet. Springschwänze, oder auch Collembolen genannt, gehören wie Insekten zu den Hexapoden (Sechsfüsser) und sind meist sehr kleine Bodenbewohner, werden von uns Menschen daher fast nie wahrgenommen.
Kugelspringer deshalb, da sein Thorax kugelförmig ist. Er ernährt sich von winzigen organischen Teilchen und daran haftenden Pilzen und Bakterien. Die Nahrung besteht wohl derzeit aus Sarg- und Leichenteilen, die seit dem 18.Jhd., als dieser Raum wie erwähnt als Nekropole benutzt wurde, in den Boden eingedrungen sind. Gleichzeitig vermutet man, dass der Sankt-Stephan-Kugelspringer schon dort gelebt hat, bevor sich der Mensch im Wiener Raum angesiedelt hat.
https://www.dersonntag.at/artikel/der-stephansdom-lebt/
Mehr über die Grüfte des Stephansdoms und ihre interessante Fauna hier.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephansdom
https://www.stephansdom.at/index.htm
all pics (exc. the penultimate one) by @stayoutoftherz
!pinmapple 48.20854 lat 16.37307 long Stephansdom d3scr