noch hat er einen Bruder namens Wahnsinn.
Den vorletzten Beitrag zum #gemischtwarenladen, als ich empfahl die Tage so zu nehmen, wie sie kommen, unterlegte ich mit Aufnahmen von dem Flecken Erde, den ich täglich bearbeiten darf.
Aus gegebenem Anlass habe ich mich dazu entschlossen, heute damit fortzufahren. Mit dem kleinen Unterschied, dass es sich dieses Mal „lediglich“ um Einblicke in unsere Gärten dreht. Viel Vergnügen mit dem Text und dem Bildmaterial.

Heute widme ich mich dem Irrsinn, da dessen Definition rein subjektiver Natur ist, zudem die Unvernunft dabei eine wichtige Rolle spielt und Absurditäten das Bühnenbild zusammenhalten.
Es muss jedoch nicht zwangsläufig die Bühne sein, auf der Irrsinn und der im Titel erwähnte Wahnsinn sich näherkommen. Warum daher nicht einfach, ähnlich einem Bergarbeiter, sich Sohle für Sohle von der Braunkohle zur Steinkohle vorarbeiten? Jedoch bestehen größte Zweifel, berücksichtigend meine handwerklichen Fähigkeiten, ob meine gegrabenen Stollen dem Druck von Irrsinn und Wahnsinn standhalten werden?
Wie immer dem auch sein mag, steht für mich beim Blick auf den Irrsinn und der Gefahr, von ihm befallen zu werden, unbestritten ein Zusammenhang mit der Fähigkeit, lesen, denken und schreiben zu können und somit extrem gefährdet zu sein.
Der morgendliche Blick in die Tageszeitung und der Versuch, das gerade Konsumierte, in etwas Verdauliches umzuwandeln, bedeutet nichts anderes, als dem Irrsinn den roten Teppich auszurollen. Wer dagegen den Buchstabensalat konsequent ignoriert und das eigene Denkvermögen mit einem strikten Berufsverbot belegt, bei dem scheinen sich die Abwehrkräfte gegen jenen Irrsinn explosionsartig zu vermehren.

Aber auch solche Mitmenschen sind nicht davor gefeit, anhand der selbst gestellten Diagnose (vergleichbar einem Handelsreisenden), mit der Nachricht im Freundeskreis hausieren zu gehen, dass der horizontal ausgeführte Schlagabtausch mit Elvira, vergleichbar dem Vollbad im Jacuzzi des Irrsinns sei. Eindeutig eine Fehldiagnose. Denn Hans-Peter weiß weder, wie Elvira oder der dampfende Badekessel tatsächlich funktionieren, noch wie das aus Fernost stammende Teil überhaupt geschrieben wird. Und (sollte es jemals zu einer Wiederaufnahme der gymnastischen Tollerei kommen) er wahrscheinlich ein Kandidat für den ausgeprägten Wahnsinn zu sein scheint, da jene Dame ihn früher oder später in einer Scheinwelt kaltstellen wird.
Die subjektive Einschätzung des Irrsinns zeigt sich auf zwei Feldern besonders deutlich. Einer dieser Äcker ist jener, auf dem die kulturell-religiöse Saat stets besonders gut fruchtet und gedeiht. Daher darf es kaum jemanden verwundern, wenn sich dort, neben dem Glauben, den Theorien und Riten, der breit gefächerte Irrsinn pudelwohl fühlt. Als anschauliches Beispiel führe ich hier den Habitus an, von dem Oliver Brandt (in meiner Heimatstadt „Am Kreuzbrunnen“ wohnend und öfter ledig als verheiratet) behauptet, er bringe ihn zweimal täglich gefühlsmäßig näher zu Gott.
Diesen Fahrstuhl der Gefühle betritt er am frühen Morgen und kurz vor der Tagesschau um 20:00 Uhr. Der göttliche Zubringer setzt sich in dem Augenblick in Gang, wenn im Bad vor dem Spiegel die elektrische Zahnbürste mit dem Rotieren beginnt und Oliver sein gesamtes Körpergewicht auf lediglich einen seiner beiden Füße verlagert. In der Früh wird der Rechte und bei Einbruch der Dunkelheit der Linke belastet.
Ich zeige mich in diesem Fall bestens informiert, da der Mann beim letzten Neujahrsempfang mit einem gut gefüllten Glas Trauben-Brause direkt neben mir weilte und dabei die Gunst der Stunde zu nutzen suchte, mich auch auf die Schnellstraße in Richtung des lieben Gottes zu lotsen.

Meine Person betreffend, ein quasi sinnloses Unterfangen, da ich mich am frühen Morgen überglücklich schätzen darf, wenn ich Herr über die mir noch gehorchenden Gliedmaße an meinem Körper bin. In einer solchen Phase käme die Ein-Bein-Strategie der aus Nachkriegszeiten bekannten Kein-Bein-Variante gleich: der Absturz ins Bodenlose.
Um mich trotzdem nicht völlig desinteressiert zu zeigen, gab ich (während einer von Olivers kurzen, verbalen Verschnaufpausen) meine subjektive Meinung zum Besten: »Das hört sich, verfluchte Hacke noch mal, nach dem Irrsinn der hausgemachten Art an. Eine Unachtsamkeit reicht aus und du hängst mitsamt Gebiss und Zahnbürste am Waschbeckenrand. Ferner denn je vom Schöpfer, jedoch blitzschnell in den Händen der Kieferchirurgen und dem Zahntechniker.«
Die darauffolgende Replik verließ die Ebene eines nonchalanten Meinungsaustausches und führte dazu, dass Herr Brandt seither meine Gesellschaft, wo immer es sich einrichten lässt, zu meiden versucht.

Dieses Verhalten steht ganz im Gegensatz zu jener Gattung Mensch, bei der ein antrainierter Irrsinn zur Grundausstattung verpflichtend scheint: der Herr und die Frau Politiker! (Kein Sternchen * und keine -innen. Auch dieser Irrsinn gelangt in naher Zukunft an die Grenzen des Erträglichen.)
Für diese Spezies der Zweibeiner scheint eine riesige Lagerhalle, bis zur Decke gefüllt mit Irrsinn, am Duisburger Hafen reserviert zu sein. Zugriff hat ein jeder, der missverständliche Buchstabenkürzel oder in die Irre führende Adjektive auf dem Brett vor seinem Kopf eingemeißelt hat. Ob von CSU bis SPD oder von Grün bis Blau-Gelb – die komplette Truppe (auch der Fähnchen- und Kugelschreiber-Verschenker am Marktstand) besitzt den Freifahrtschein bis in die Alte Ruhrorter Straße in Duisburg, direkt am Rhein.
Jeder einigermaßen fehlerfrei tickende Homo sapiens muss doch Zweifel an seinem eigenen Verstand anmelden, wenn er auch nur peripher dem Geschwätz, einem Grundsatzprogramm oder der Haushaltsetatplanung einer Regierung Glauben schenken möchte. Denn der Irrsinn auf dem politischen Parkett zeichnet sich grundsätzlich durch irreale, extreme und radikal revolutionäre Zukunftsversprechen aus. Im Volksmund auch als Luftschloss oder Seifenblase im Umlauf.
So dürfte es ein Einfaches für uns sein, da diese Ramschware von Irrsinn leicht am Etikett abzulesen ist, dem geistigen Tiefflieger (mit Zweitwohnsitz in Duisburg) die kalte Schulter zu zeigen oder mit bürgerlichem Ungehorsam ihm den Übertritt in den Wahnsinn nahezulegen.
Aber Vorsicht für alle, die das Wahllokal bislang nur vom Hörensagen kennen. Nicht augenblicklich zum Friedhof aufbrechen und nach der Urne fragen. Auch nicht den Fahrservice am Wahltag nutzen und stolz wie Oskar das Kreuz bei der AfD kritzeln. Ein solches Verhalten nennt man auch Irrsinn und hat außerdem wenig mit proletarischem Widerstand zu tun.

Erheblich mehr Freude kommt auf, viel öfter dem locker daherkommenden, leicht jovialen Irrsinn die Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu gewähren. Immer gern genommen, um sich prächtig über sich selbst zu amüsieren und gleichzeitig von gegenüberliegender Seite zu erfahren, dass dir die Abkopplung vom realen Leben nun endgültig gelungen sei.
Behaupte doch bei Gelegenheit, wenn die Diskussion über neue Super-Food-Produkte in die nächst höhere Kategorie verlagert wird, dass du viel lieber beim Althergebrachten bleibst, aber darauf schwörst, nach dem Essen mit 2 Zentiliter Frosch-Spiritus-Reiniger nachzuspülen. Dies befreie all das Grünzeug auch nachträglich von je angesammelten Pestiziden.
Überrasche die Verwandtschaft bei der mit Sicherheit noch anstehenden Familienfeier mit der Neuigkeit, dass seit dein Hund „Rudolf“ regelmäßig die Waldorfschule besucht, du die freie Zeit genutzt hättest, dir in der Hundeschule das Sitz und Platz machen, sowie das Apportieren beibringen zu lassen. Was Letzteres betrifft, klappe dies mit Stöckchen bereits ganz gut. Demnächst stünden jedoch Übungen mit Perlhuhn und Fasan an.
Mit der Offenbarung, ein Treffen Außerirdischer arrangiert zu haben oder gar, nicht nur das Gras, sondern auch die Geräusche des Rohmilchkäses in der Vorratskammer beim Wachsen hören zu können, lockst du keinen Liebhaber des blanken Irrsinns mehr aus dem Pellet-Vorratsspeicher. Das kann jeder – egal, wie viele Schrauben dringt nachgezogen werden sollten.
Von dem, mit welchem der Irrsinn so oft und trotzdem fälschlich verwechselt wird, nämlich dem ausgeprägten Wahnsinn, sollte unbedingt Abstand gewahrt werden. Mit dem ist auch bei schönem Wetter nicht zu spaßen.

Der Gemischtwarenladen schließt nun seine Pforten, da der Betreiber nebenbei noch irre viel in der freien Natur zu erledigen hat. Bleibt gesund und arbeitet geduldig an eurem ureigenen Irrsinn.

