Mal Monolog und mal Dialog und durchaus logisch!

»Du hast bestimmt mitbekommen, wer sich von den Roten auf der Liste für die Wahl ganz weit oben hat platzieren lassen?«
Das Gesagte ist nicht ganz eindeutig als Frage zu definieren, trotz alledem taugt es meist als Ausgangspunkt oder Startschuss in eine lebhafte Diskussion. Inhaltlich, diesem Fall, wohl über das Prozedere innerhalb einer Partei (im Vorfeld einer anstehenden Kommunalwahl) eigene Kandidaten dem Wähler vorzustellen, näher zubringen oder, ähnlich einem Zirkuspferd, vorzuführen.
Hier sei mir eine subjektive Meinungsäußerung aus dem Blickwinkel des Beobachters und Chronisten erlaubt:
In diesem Kontext bitte keine verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Adjektiven, eigene und geeigneten herstellen. Bei politischen Personalentscheidungen ein Musterbeispiel für einen begangenen Kardinalfehler.
Doch nun, ohne weitere Umschweife, zurück an den Ort des Geschehens.
Allerdings ist Jupp weder in Laune für einen Startschuss, noch für einen verbalen Schlagabtausch. Trotz des Zwitters (halb Frage – halb Vermutung), sieht er sich eher am Beginn eines Monologs in einer, für seine Verhältnisse, sonderbar aufgewühlter Stimmung.
Die einzige Person, die das sich augenblicklich anbahnende Selbstgespräch noch im Keim ersticken könnte, liegt im frisch bezogenen Bett, greifbar nahe neben Jupp und gedanklich komplett anderweitig unterwegs. Klara (die rechtlich Angetraute von Jupp) versucht krampfhaft (da bereits verdächtig nahe einer überufernden Verzweiflung) einen logischen Zusammenhang zwischen den von Prof. Dr. Grönemeyer propagierten Heilungsmethoden eines schmerzhaften Bandscheibenvorfalls und der bevorstehenden Scheidung des in Zwangsehe lebenden Paares Habeck-Lindner zu konstruieren.
Da das Vorzeigeblatt der Publikationen für gesellschaftspolitisch relevante Themen, die „Frau im Spiegel“, beide Schlagzeilen auf dem Titelblatt der neuen Ausgabe in Einklang bringt, liegt die Vermutung einer Vereinbarkeit beider Meldungen geradezu griffbereit zwischen den Zeilen und Kissenbezug.
Möglicherweise hat der F.D.P-Chefstratege dem Herrn Professor am Rande des letzten routinemäßigen Check-Ups Einzelheiten über die anstehende Steuerreform verschwiegen? An die nämlich, gelangte der medial omnipräsente Rückenspezialist erst durch die berühmte Hintertür, als er wenige Tage später bei Habeck angestaute Verspannungen im Beckenbereich auf wundersame, handwerklich perfekte Art, ins Nirwana verbannte.
Weißkittel Grönemeyer, im Umgang mit der Schweigepflicht nicht gänzlich unerfahren, will nämlich partout keinen Anlass dafür erkennen, weshalb ein gewählter, und dazu noch in seiner Patientenkartei geführter Volksvertreter, auf ein solches Privileg wie das der Maulfaulheit zugreifen darf. Zumal eine solche Gesetzesänderung eventuell seinen eigenen Geldbeutel in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Zutiefst enttäuscht über das wenig loyale Gebaren seines neoliberalen Ex-Freundes, nimmt sich Prof. Dr. Grönemeyer daraufhin vor, beim nächsten Nachtgebet dem Finanzakrobaten auf der Regierungsbank die Krätze, die Schwindsucht und Eiterpickel an den Arsch zu wünschen. Und damit die Wunscherfüllung sich nicht bis zu Ostern hinziehen möge, leitet der Bandscheiben-Guru sein Anliegen an die chinesischen Kollegen in Wuhan weiter, die in der Produktion solcher Volks-Plagen reichlich Erfahrung besitzen.
Geschafft!
Der stabile Zusammenhang scheint hergestellt. Insgeheim wünscht sich Jupps Frau zwar mehr logisch nachvollziehbare Transparenz in der Berichterstattung ihres Langzeit-abonnierten Presseorgans. Doch kann sie andererseits nur zu gut nachvollziehen, wenn der investigative Journalismus, praktiziert in den Reihen (bis hin zur publizistischen Vollendung) bei „Frau im Spiegel“, nicht auch noch das letzte Handtuch vor dem Schlüsselloch wegzieht. Der Blick durch das Schlüsselloch der letzten Tür vor der praktizierten Frivolität scheint tabu. Denn was dahinter geschieht, das soll sich sehr wohl der Leser selbst ausmalen dürfen.
Ihr erster Gedanke, was wohl ihr Jupp über so viele Neuigkeiten zu sagen hat?
»Schatz, ich stelle mir gerade vor, einer dieser Reporter würde bei uns auf der Matratze sitzen und mitschreiben, was wir im Bett fuhrwerken und zu bequatschen haben.«
»Weinmanns Otto, das Arschloch.«
»Wie, um Himmels willen kommst du jetzt auf den? Der arbeitet doch beim Wasserwerk und nicht bei der Zeitung. Außerdem hat der nichts in unserem Schlafzimmer verloren.«
Ohne auch nur andeutungsweise Aufklärungsarbeit in Richtung seiner Angetrauten leisten zu wollen, versucht Jupp sich über die weitreichenden Folgen dieser kommunalpolitischen Entscheidung ein einigermaßen klares Weltbild zu verschaffen. Ob dieses Vorhaben je vom Erfolg gekrönt wird, er also aus einem unsortierten Haufen angesammelter Einzelteile ein nachvollziehbares Konstrukt erschaffen kann, wie dies der Frau an seiner Seite im Fall Grönemeyer/Lindner/Habeck gelang, das bleibt abzuwarten.
»Der will unter Garantie seinen Urwald zu Geld machen.«
»Wie, die Weinmanns haben Grundstücke im Urwald? Das ist mir jetzt zwar absolut neu. Trotzdem könnte es mir vorstellen, da dessen Großmutter, also Weinmanns Elli, sich damals in der halben Welt herumgetrieben haben soll. So wurde es zumindest damals im Ort immer erzählt.«
»Herrje, wovon faselst du hier eigentlich? Ich jedenfalls bin bei dem Grundstück, das Otto Weinmann in der Wingertswiese direkt unter uns hat. Und das sieht einem Urwald nicht unähnlich. Wenn du mir aber jetzt verklickerst, dass die Weinmanns auch noch Ländereien in Brasilien besitzen, könnte das der Knaller für den nächsten Stammtisch sein. Und übrigens besten Dank dafür, dass dein eigener Mann das letztlich auch erfahren darf.«
Die Frau an Jupps Seite vernimmt zwar das Gesagte, ist aber gedanklich längst zurück bei den sozialen Brennpunkten auf diesem Planeten – insbesondere in den von Krisen geschüttelten Palästen der Monarchie.

Die plötzliche Sprachlosigkeit seiner Frau liefert Jupp erneut den Beweis dafür, in familienpolitischen Angelegenheiten ohnehin und kommunalpolitischen umso mehr, im Labyrinth der Unwägbarkeiten allein gelassen zu sein. Nicht gewillt, dies noch länger hinzunehmen, wagt er sich verbal an die eheliche Baustelle heran. Dabei nicht ahnend, dass keine dreißig Zentimeter neben ihm gerade die Entscheidung getroffen wird, nun doch das Guido-Kretschmer-Shampoo zu kaufen, da dies auch dem Haar von Judith Rakers zu seidigem Glanz verhilft.
Gleichzeitig mit der Lösungsfindung in Sachen sprödes Haar, und somit zweigleisig fahrend, wird nach einer detaillierten Anleitung (zu finden auf Seite 24, Spalte 1) eine Abtastung des eigenen Körpers durchgeführt. Ein zwar nicht patentiertes Verfahren, das aber der Früherkennung von Schweißfüßen und wild wuchernden Hämorriden dienen soll.
»Wenn der Weinmann sein Grundstück zu Bauland machen will, dann muss er zwangsläufig mit dem Auto über unser Grundstück. Bislang darf er aber ausschließlich zu Fuß bis zu seinem Urwald vordringen. Wenn der aber jetzt glaubt, dass sich an der Regelung was ändern wird, dann hat er sich ganz gewaltig ins eigene Fleisch geschnitten. Die Tour, die wird mit mir unter Garantie nicht funktionieren. Ich gehe jedenfalls fest davon aus, dass Otto der Meinung nachhängt, dass „die Roten“ ihm den Weg frei baggern? Eines ist jedenfalls so sicher wie das Amen in der Kirche – Otto Weinmann wird nicht von dir und erst recht nicht von mir gewählt.«
Die rechte Brust ganz und gar im Gewahrsein der abtastenden linken Hand.
Klara, die sich abseits der von ihr aufgestellten oder teils biologisch aufgezwungenen Regeln, eher den weltweit relevanten Dingen des Alltags zugewandt scheint, sieht sich von just auf sofort mit einer Frage aus dem Bereich kleinbürgerliche Engstirnigkeit konfrontiert. Seit wann ist es überhaupt möglich, den Ableser der Wasseruhr nach eigenem Gusto zu wählen?
Doch bevor sich einigermaßen relevante Bilder (Wasseruhr und Wahl betreffend) vor ihrem inneren Auge aufbauen können, grätscht Jupp rücksichtslos in das Fantasiegebilde seiner Gattin.
»Wenn dieser Vollochse auch nur einen müden Euro aus der Aktion für sich zu verbuchen gedenkt, bezahlt er mir das mit der Genehmigung zur Zufahrt doppelt und dreifach zurück. Hast du zufällig einen Schimmer davon, was bei uns zurzeit für den Quadratmeter Bauland verlangt wird?«
»Soweit ich gehört habe, ungefähr 100 Euro – aber sicher bin ich mir nicht. Um ehrlich zu sein, ich habe keinen blassen Schimmer.«
Jupp belegt seine bessere Hälfte mit einem Blick, der dank ausufernder Selbstüberschätzung und einer ausgeprägten Überheblichkeit sich konstant verschärft und jeden Augenblick die Kraft eines Laserstrahls zu erreichen droht. Klara nimmt allerdings das von männlichem Titanismus überlagerte Gehabe nicht wirklich zur Kenntnis, da sie bereits tief in ihrem eigenen Film versunken scheint.
Eine ihrer Brüste, noch immer von der linken Hand okkupiert, während die rechte Hand nahezu beschäftigungslos in ihrem Schoß liegt, sucht sie verzweifelt nach Orientierungsmöglichkeiten im Schlafzimmer von Habeck/ Lindner. Daher verursachen verwertbare Baulandpreise augenblicklich in etwa so viel Anziehungskraft in Form von Aufmerksamkeit auf ihren erhitzten Körper, wie der Verlust eines Sackes Reis in einem Vorort von Hanoi.
Da sie sich auf ihre blühende Fantasie stets verlassen kann, erscheint es ihr im Moment bedeutend wichtiger, dem Gedankenwirrwarr im Kleinhirn verwertbare Informationen zu entlocken.
Soll sie dem Angebot des, vom Vornamen her christlich vorbelasteten Kämpfers für Wohlstand und Macht aus dem Hause Lindner, nachgeben und nach dem Glas mit Champagner greifen, das er ihr gerade entgegenhält? Oder doch lieber ihre Hände dort belassen, wo sie augenblicklich unschätzbar nützliche Dienste leisten?

Eigentlich bevorzugt sie ja die Spätlese von der Mosel mit einem Schuss Mineralwasser. Von dem französischen Firlefanz mit der Garantie zum Rülpsen hält sie eher wenig. Sollte sie dennoch der Einladung nachkommen, kriecht noch immer die unbeantwortete Frage unter der inzwischen leicht überhitzten Bettdecke – welche der beiden Hände, kann ihr Körper überhaupt entbehren?
Jupp, von Champagner und der F.D.P. so weit entfernt wie Lindner von einem sozialen Gewissen, bastelt derweil an dem Vorläufer zu einer politischen Entscheidung, die gesellschafts- wie familiär-ökonomische Manifeste aus ihren Fundamenten hebeln sollte.
»Vergiss einfach all das, was ich vorher über den Otto gesagt habe. „Die Roten“ werden jetzt trotzdem gewählt! Weißt du auch, warum? Nein, weißt du eben nicht. Kannst du auch nicht wissen, weil ich es dir erst jetzt verraten werde.«
Das mit dem Vergessen, was ihr Ehemann im Laufe eines Tages alles so an Ideen und Erkenntnissen lauthals von sich gibt, damit hat Klara die geringsten Probleme, da ihr Erfahrungsschatz auf dem Gebiet als riesig zu bezeichnen ist.
Jupp verlagert derweil seine annähernd hundert Kilo Lebendgewicht in die Seitenlage. Die vermeintlich ideale Position, im Anschluss an die von ihm zusammen geschusterte und nun folgende Agenda, aus dem Gesicht seiner Frau etwas ganz Bestimmtes herauslesen zu können.
Nämlich eine exakte und wissenschaftlich belegbare Prognose für die nahe Zukunft. Vergleichbar mit dem Zahlensalat von Allensbach, an jedem Wahlabend immer knapp vor 18:00 Uhr serviert. In diesem Fall jedoch zugeschnitten auf seine Person, hinsichtlich seines Werdegangs als Kapital-Vermehrer. Die Zuversicht scheint in ihm beheimatet, da sein politischer Weitblick absolut fugendicht scheint.
Obwohl Klara den direkten Blickkontakt meidet, scheint sie dennoch hellwach und verweigert daher vorläufig ihren Dienst als Anzeigetafel für vage Hochrechnungen.
Nicht unbedingt die ideale Voraussetzung für die Fortsetzung eines Monologs, der mit dem jetzigen Inhalt, knappe fünfzehn Minuten zuvor, nicht über die Bühne gegangen wäre.
Jupps Motto scheint: Der kluge Mann ändert seine Meinung, bevor es ein anderer für ihn tut.

»Unsre Obstbäume, und das musst du zugeben, tragen von Jahr zu Jahr weniger. Darüber sind wir uns doch hoffentlich einig? Also ist es nur logisch, wenn ich Otto den Vorschlag unterbreite, dass die gesamte Ecke dort hinten am Ortsrand zu Bauland gemacht wird. Wenn der das so hinbekommt, wie ich mir das vorstelle, bekommt er die Zufahrt zu seinem Grundstück mit Verbundsteinen verlegt. Dafür sorge ich dann höchstpersönlich. Eine Hand wäscht schließlich die andere. So funktioniert das unter normal denkenden Menschen nun mal seit Jahrhunderten und keiner hat sich bisher beschwert. Außerdem müssen wir uns doch fragen, was das Stück Land, so wie es jetzt da liegt, für uns noch an Wert hat? Wenn du mich fragen würdest: null Komma nichts! Zudem ist mir zu Ohren gekommen, dass der neue Rektor von der Gesamtschule ein Baugrundstück sucht. Wenn das also alles so läuft, wie ich mir das im Moment vorstelle – aber daran hege ich keinen Zweifel – dann präsentiere ich dem Mann unser Grundstück auf einem silbernen Tablett. Allerdings nicht für läppische hundert Euro – da muss er schon noch was drauflegen. Morgen rufe ich Weinmanns Otto an und regele mit ihm die Einzelheiten. Das ist dann nämlich ein Geschäft, bei dem keiner von uns verlieren kann. Wir sind endlich das Grundstück los und ich behalte mein Wissen über Weinmanns Ländereien in Brasilien für mich.«
Klara hat sich inzwischen doch für den Champagner entschieden. Sie ist übrigens Linkshänderin.

