Nachdem ich gestern bereits ein Kaffeehaus beuchte (Café Sperl) ging ich heute in das das Café Goldegg, ein Juwel der Wiener Kaffeehauskultur, begrüßte mich an diesem sonnigen Sonntag mit seinem unverwechselbaren Jugendstil-Charme. Gegründet 1910 von der Familie Dobner, ist dieses Kaffeehaus in der Argentinierstraße 49 nicht nur ein Ort für Kaffeegenuss, sondern auch ein Stück Geschichte. Die prächtigen Wandvertäfelungen mit Ebenholzintarsien, die schwarzen Marmortische und die grünen Plüschsitze versetzen einen sofort in die Zeit der Jahrhundertwende. In seiner Vergangenheit diente das Café während der NS-Zeit bis 1941 als Treffpunkt für verfolgte Gewerkschafter und Revolutionäre Sozialisten, was dem Ort eine besondere historische Tiefe verleiht. Obwohl keine prominenten Namen wie im Café Sperl – wo einst Gustav Klimt oder Franz Lehar verkehrten – direkt mit dem Goldegg verbunden sind, spürt man die Aura eines Ortes, der Intellektuelle und Kreative angezogen haben muss.
Wie jeden Sonntag war ich allein unterwegs, genoss die Ruhe und ließ mich an einem kleinen Marmortisch nieder. Die Atmosphäre war lebendig, aber nicht hektisch – genau das richtige Maß an Wiener Gemütlichkeit. Ich bestellte einen Einspänner und eine Mohntorte.
Der Einspänner, traditionell im Glas mit Henkel serviert, kam mit einer großzügigen Haube aus kühler Schlagsahne, durch die ich den heißen, kräftigen Mokka schlürfte. Die Mohntorte war ein Gedicht: buttrig, mit einer feinen Mohnfüllung, die perfekt mit dem Kaffee harmonierte. Die Bedienung war freundlich und aufmerksam, und trotz des gut besuchten Lokals kam mein Bestellung zügig.
Gestern hatte ich im Café Sperl, einem anderen Wiener Traditionskaffeehaus, einen "Überstürzter Neumann" getrunken, und der Kontrast zwischen den beiden Getränken war faszinierend. Während der "Einspänner" im Goldegg ein konzentrierter Mokka mit einer dicken Schlagsahnehaube (Schlagobers) ist, die den Kaffee lange warm hält und einen cremigen, milden Geschmack ergibt, wird beim Überstürzter Neumann im Sperl zuerst die geschlagene Sahne in eine leere Kaffeetasse gegeben und dann mit einem frisch aufgebrühten großen Braunen, einem doppelten Mokka, übergossen - „überstürzt“ (also schnell aufgegossen), was ihn leichter und weniger intensiv macht. Der Einspänner wirkt dadurch kraftvoller und gehaltvoller, während der Neumann durch die Sahne eine sanftere, fast teegleiche Note hat. Beide Getränke sind typisch für die Vielfalt der Wiener Kaffeespezialitäten, aber der Einspänner passte heute besser zu meiner Stimmung.
Das Café Goldegg bot mir genau das, was ich an einem Sonntag suche: eine Zeitreise in die Welt der Wiener Kaffeehäuser, einen ausgezeichneten Kaffee und eine süße Köstlichkeit, die den Tag abrundet. Und das zweite ist die sprachliche Atmosphäre, die mich umgibt. Manchmal schließe ich die Augen und schnappe schöne Wiener und österreichische Begriffe auf, die ich als Franke manchmal verstehe und manchmal nicht (Spompanadeln, blunzen fett, Ungustl und Zwiedawuzn). Auf jeden Fall vergehen so ein bis zwei Stunden im Kaffeehaus sehr schnell und man verlässt diesen kulinarischen und kulturellen Ort mit einem guten Gefühl und freut sich schon auf das nächste Wochenende.
Bleibt BeeSmart
*Quellen: Speisekarte, Wiki und Homepage Café Goldegg