Abgründe üben auf Bergsteiger eine starke Faszination aus. Kletterer genießen den Blick in die schaurige Tiefe und steigen mit eigener Kraft der Höhe lustvoll entgegen. Ich bezweifle, dass Börsianer derzeit beim Blick auf den langfristigen DAX-Chart in ähnlicher Weise in Verzückung geraten:
Nach einem jahrelangen, soliden Anstieg hat der DAX-Chart in den letzten zwei Jahren eine berüchtigte Schulter-Kopf-Schulter-Formation herausgebildet, die nun kurz vor ihrer Vollendung durch den plötzlichen Fall durch die Nackenlinie bei 11850 Punkten steht. Das wäre dann auch der Übergang in einen Bärenmarkt, d.h. eine längere Phase tendenziell fallender Kurse. Der "große Bruder" des DAX, der US-amerikanische Dow Jones Index zeigt hingegen weiterhin eine trendstarke Aufwärtsbewegung zu immer neuen Höchstständen, die vor allem nach der Amtsübernahme von Donald J. Trump an Dynamik zugelegt hat (+60%). America first!
Diese krasse Divergenz, noch dazu bei schwachem EURO, der laut Lehrbuch die exportlastige deusche Wirtschaft begünstigen müsste, ist meines Wissens so noch nicht vorgekommen.
Was steckt dahinter?
Blicken wir zunächst auf die Zinssätze:
(Blidquelle pigbonds.info)
(Blidquelle pigbonds.info)
- In den USA steigen seit einiger Zeit die Zinssätze deutlich an. Das führt zu einer Umkehr der Finanzströme von der Peripherie ins Zentrum (=USD-Raum). Die Schwellenländer leiden unter dem Kapitalabfluss und bekommen riesige Prbleme durch den Verfall ihrer Landeswährung (z.B. Türkei).
- Trump betreibt die Stärkung der US-Binnenwirtschaft mittels Handelssanktionen und Deregulierungen.
- Die EURO-Zone hat ein neues Problem: Die 2018 gewählte Italienische Regierung (M5S/Lega) verfolgt eine rücksichtslose Abkehr von der Sparpolitik, was zu stark steigenden Zinssätzen bei den italienischen Anleihen geführt hat.
- Auch die chinesische Wirtschaft leidet unter der aktuellen Gemengelage. Die chinesischen Aktienindices befinden sich ebenfalls auf dem Rückzug.
- Der Ölpreis steht auf einem Mehrjahreshoch.
Was ist zu erwarten?
Die Lage wird zunehmend unübersichtlicher. Es gibt einige sehr mächtige Spieler, die das Marktgeschehen jederzeit durch Entscheidungen oder bloße verbale Äußerungen durcheinanderwirbeln können: Zentralbanken, Regierungen, Hedgefonds, Kommissionen, etc.
Noch ist die SKS-Formation nicht vollendet. Vielleicht rettet sich der DAX nach einer zähen Seitwärtsbewegung wieder in einen neuen Aufwärtstrend. Und falls er doch in den Bärenmarkt unterhalb von 11850 Punkten abrutscht? Das wäre natürlich nicht das Ende der Welt, könnte aber einen generellen Konjunktureinbruch mit all seinen negativen Folgen für den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme mit sich bringen. Diese Entwicklung würde somit nicht nur die Aktienbesitzer, sondern die ganze Breite der Gesellschaft treffen und auch dem Boomenden Immobilienmarkt einen Dämpfer verpassen. Da viele Häuslebauer auf hohen Kreditbelastungen sitzen, steckt auch hierin ein Gefahrenpotenzial für die Prosperiät unseres Landes. Bislang haben die mächtigen Zentralplaner der EU und der EZB immer eine Lösung zur "Rettung" der Wirtschaft zustande gebracht, aber wird es ggf. auch diesmal so sein? Ich weiß es nicht. Und Ihr, liebe Leser?
Disclaimer
Dieser Artikel stellt keine Handlungsempfehlung für Investments dar. Jeder trägt sein Risiko selbst.
P.S. 2018-10-09 11:30 Uhr:
Der DAX hat gerade bei 11920 ein neues Monatstief erreicht. Ein etwaiger Fall durch die Nackenlinie könnte hochdynamisch erfolgen, d.h. mehrere 100 Punkte innerhalb weniger Stunden.