Liebe Steemianer,
schon 2015 hatte der Pathologe John Collins aus London deutliche Hinweise gefunden, dass die Alzheimer-Erkrankung möglicherweise übertragbar ist. Vier Patienten, denen Wachstumshormonextrakte aus den Körpern Verstorbener verabreicht worden waren, waren an einer Art Alzheimer gestorben, mit typischen Beta-Amyloid-(Aβ-)-Ablagerungen im Gehirn (allerdings ohne die alzheimertypischen Symptome), im Alter von 36 bis 51 Jahren, also viel früher als gewöhnlich (Alterspeak dieser Erkrankung ist üblicherweise erst bei 80-85 Jahren (1)). Keiner der 4 hatte pathogene Mutationen (die eine frühe Erkrankung hätten verursachen können). Erst später fand man, dass mit den Extrakten offenbar auch Prione - fehlerhaft gefaltete Proteine mitübertragen worden waren! Collins´s Untersuchungen wurden in nature publiziert (2).
amyloide Plaques, © istock
In dieser (3) neuen Arbeit von Prionenforscher Stanley B. Prusiner und seinem Team, der schon bei der ursprünglichen Erforschung der Prionen beteiligt war und dafür 1997 den Nobelpreis erhalten hatte (4), konnte er zeigen, dass die zwei hauptbeteiligten Proteine bei Alzheimer, Beta-Amyloid und "Tau", als Prione agieren. Das bedeutet, dass sie, falls sie falsch gefaltet sind, bei benachbarten Beta-Amyloid- und Tau-Proteinen ebenfalls diese Konformationsänderung erzwingen können - sie also gesunde Proteine in Prione umwandeln. Der Prozess ist unumkehrbar, ist ein Protein einmal zu einem Prion geworden, kann es sich nicht mehr zurückfalten in seine normale Form. Zwar können spontan auftretende Prione auch entsorgt werden (über das glymphatische System (5)), aber der Körper ist überfordert mit dem lawinenartigen Überhandnehmen der Prionen und kann sie nicht rechtzeitig abbauen, sodaß sie sich im Gehirn ablagern und es letztlich zerstören.
Es zeigte sich auch ein Zusammenhang zwischen dem Alter bei Ausbruch der Erkrankung und der Anzahl der Prionen im Gehirn. Je jünger die Patienten, desto mehr Prionen hatten sie (bislang war man davon ausgegangen, dass die Plaques mit dem Alter immer mehr werden) (6). Es ist noch nicht klar, was das bedeutet, aber jedenfalls könnte das ein game-changer in der Alzheimer-Forschung sein. Auch die Pharmaindustrie muss umdenken und Medikamente direkt gegen die Prionform von Aβ und Tau richten (was sie bis jetzt offenbar nicht gemacht hat - auffällig viele Kandidaten im Kampf gegen Alzheimer sind gescheitert, sodass es heute noch immer keine effektive Therapie gibt).
Zusammenfassend kann man sagen, Alzheimer ist eine potentiell übertragbare Doppel-Prion-Erkrankung (6).
Die gesunde Form von Aβ (links, blassgelb) ist über die ganzen Zellen verteilt, während die Prionenform pathologische Klümpchen bildet (rechts, stark gelb) Quelle
Natürlich heißt das nicht, dass man sich jetzt vor dem Kontakt mit Alzheimer-Patienten schützen muss, aber von der Prionenerkrankung Creutzfeldt-Jakob (CJK) (7) wissen wir, dass Prionen grundsätzlich übertragbar sind, sogar über Artgrenzen hinweg! Doch nur der direkte Kontakt mit Gehirngewebe scheint gefährlich zu sein (dort ist die Prionenkonzentration am höchsten). Mitte der 1980er Jahre kam es vor allem in Goßbritannien zu einer BSE-Epidemie: Rinder waren aus Profitgier mit Schlachtabfällen von Schafen gefüttert worden, die Srapie gehabt hatten (eine Prionenerkrankung der Schafe). Die Prionen aus den Schafgehirnen hatten auch die Rinderproteine infiziert und in Prionen umgewandelt, diese erkankten an der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie, vulgo "Rinderwahn". Als man die Zusammenhänge erkannte, kam es zum Verbot von Tiermehl in Rindernahrung und zur Notschlachtung ganzer Herden, aber bis dahin war das Fleisch von über 1Mio. infizierter Tiere zu Hamburgern etc. verarbeitet worden. Über 100 Briten hatten sich so mit CJK angesteckt, eine bis heute unheilbare Krankheit. Eventuell kommt demnächst aufgrund der jahrzehntelangen Inkubationszeit bei Trägern bestimmter Allele des zugrundeliegenden Proteins noch eine zweite CJK-Welle auf uns zu (7).
Zurück zu Alzheimer: Die neuen Erkenntnisse erforden eine radikale Neubewertung der Therapie und Forschung mit Produkten aus Gehirngewebe von Menschen. Der Prionen- und Amyloidforscher Adriano Aguzzi vom Universitätsspital Zürich in der Schweiz meint dazu:
"Meiner Meinung nach sollten alle Amyloide als gefährlich eingestuft werden, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist."
MIttlerweile häufen sich die Befunde von Ansteckungen mit Gehirngewebe von Alzheimer-Erkrankten, wie etwa dass nach der Transplantation von dura mater-Gewebe manche Empfänger ungewöhnlich früh an Alzheimer erkrankt waren (6).
Alzheimer ist gottseidank nicht ansteckend wie ein Schnupfen, aber bei allen Therapien, die Gehirngewebe involvieren, muss in Zukunft auf Aβ und Tau-Prionen kontrolliert werden, was heute routinemässig noch nicht gemacht wird!
Das erinnert fatal an die Tausenden (8) an AIDS erkrankten Hämophilen aus den frühen 1980er Jahren, die sich mit kontaminiertem FVIII-Konzentrat angesteckt hatten, das von gespendetem Blut von AIDS-Kranken stammte, bevor man den HI-Virus isolieren und nachweisen konnte. Heute achtet man darauf, dass Blut keine HI-Viren enthält, bevor es für die Medikamenteherstellung benutzt wird. Genauso sollte man mit den Alzheimer-Prionen umgehen!
Quellen:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Alzheimer-Krankheit
- https://www.nature.com/articles/nature15369
- https://stm.sciencemag.org/content/11/490/eaat8462
- https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/creutzfeldt-jakob-krankheit/2511
- Das glymphatische System ist im Schlaf 10-20 mal aktiver als im Wachzustand - ein Grund mehr, für regelmässigen Schlaf zu sorgen, https://de.wikipedia.org/wiki/Glymphatisches_System
- https://www.ucsf.edu/news/2019/05/414326/alzheimers-disease-double-prion-disorder-study-shows
- https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/creutzfeldt-jakob-krankheit-chronik-eines-angekuendigten-todes-14716433.html
- Zumindest von Österreich weiss ich, dass damals tragischerweise rund die Hälfte der Bluter an AIDS gestorben ist.