Aktiv vor 5 Minuten, aktiv vor 2 Minuten, jetzt aktiv, jetzt aktiv, JETZT AKTIV. So oder so ähnlich würde es aussehen, wenn man in WhatsApp oder Facebook Messenger auf mein Chatfenster klicken würde. Durch mein Smartphone war und bin ich ständig erreichbar. Die meisten sozialen Kontakte die ich „pflege“ spielen sich auf meinem Smartphone ab. Warum?
Weil es eben so verdammt einfach ist.
Als ich von meiner zweijährigen Australienreise zurückkam, hatte ich für ein paar Wochen erstmal gar kein Handy und es funktionierte gut. Ich ließ mich allerdings recht schnell überreden doch wenigstens wieder erreichbar zu sein und fing an das alte „nicht-Internetfähige“ Handy meines verstorbenen Opas zu verwenden. Mit Snake und so. Dies lief für ein paar Monate wirklich ohne Probleme, doch ich bemerkte überhaupt nicht wie die Gesellschaft ihre von Konsum verfetteten Finger langsam um meine Kehle legte und mir permanent ins Ohr flüsterte: „Konsumiere! Kauf dir ein Handy! Du bist sonst kein Teil von uns!“ Zugegeben, ich wehrte mich lange dagegen. Eines Tages allerdings kam mein damaliger Freund, der bis zu diesem Zeitpunkt gar kein Handy hatte, nach Hause mit einem nagelneuen Samsung Galaxy S6 Edge.
Mein Gott, was das alles konnte! WhatsApp, Messenger, Apps bis zum geht nicht mehr, die Kamera war ja soooooo toll. Man konnte sogar mit diesem Telefon sprechen. Ich wurde überströmt von einem unbändigen Drang danach auch eines haben zu wollen. Ganze zwei Wochen hielt ich durch, bevor ich meinem niederen und verabscheuungswürdigen Instinkt der Konsumgeilheit nicht mehr widerstehen konnte. Ich bestellte genau das Gleiche Handy. In Weiß. Absolut überteuert.
Als ich es endlich in Händen hielt fühlte ich mich gut. Als ich das erste Mal WhatsApp installierte fühlte ich mich fantastisch. Den ersten Tag benutzte ich es durchgehend, nur beim Schlafen legte ich es widerwillig aus der Hand. Die Gesellschaft hatte es geschafft. Sie hatte meinen Willen gebrochen und meine ganzen guten Vorsätze über Bord geworfen. Sie hatte mich wieder. Nicht ich bestimmte mein Leben, mein Handy tat es. Mein Konsum nahm überhand. Sobald ich das Geräusch des Messengers wahrnahm musste ich auf mein Handy schauen. Ich musste einfach. Ich wollte unbedingt wissen wer mir schrieb, ob es wichtig war (was es in 99 Prozent der Fälle nie war). Es gab mir ein gutes Gefühl zu wissen, dass jemand an mich dachte. Es gab mir ein Gefühl der Freude, wenn ich Facebook öffnete und eine neue, kleine, rot leuchtende Benachrichtigung vorfand. Mein Narzissmus wurde dadurch gestreichelt und gepflegt.
Und genau deshalb bin ich an dem Punkt angelangt an dem ich nun bin. Kein Handy. Für mindestens eine Woche. Dieser Gedanke kam immer mal wieder auf, doch wurde schnell verdrängt von der nächsten Nachricht in WhatsApp.
Aller Anfang ist schwer:
Seit etwa zwei Stunden habe ich mein Handy ausgemacht und in eine Schublade gelegt. Noch während ich die Nachrichten für WhatsApp verfasste in denen ich meinen engsten Freunden von meiner einwöchigen Handyabstinenz berichten wollte, fing ich an, an der ganzen Sache zu zweifeln. Ich merkte richtig wie ich kalte Füße bekam und wie mir bewusstwurde, was das für ein großer Schritt für mich zu sein scheint. Ich hatte richtig Angst die Nachricht auch tatsächlich abzusenden, da ich wusste, dass es dann kein Zurück mehr geben würde. Wie würde ich denn sonst dastehen? Wie der schwächste Mensch auf diesem Planeten? Kurz nachdem ich die Nachrichten abgeschickt hatte, wurde ich für einen kurzen Moment richtig depressiv und ängstlich. Was wenn etwas in der Uni Gruppe vor sich geht und ich bekomme nichts mit? Was wenn etwas passiert und mich keiner erreichen kann? Was wenn ich sozial komplett vereinsame, weil ich nicht mehr aktiv an den sozialen Medien teilnehme und nicht mehr auf Abruf erreichbar bin? Was wenn ich überhaupt nichts mehr mitbekomme? Keine Partyeinladungen mehr, keine Eventinformationen mehr? Ich muss gestehen während ich diese Zeilen schreibe, bin ich immer noch verunsichert über meine Entscheidung und ich denke, dass es mir erst einmal sehr schwer fallen wird das alles durchzuziehen.
Diese Gedanken veranlassten mich dazu meinen Kontakten noch schnell einen Zusatz zu senden, in dem ich erklärte, dass ich in den nächsten Tagen wohl doch wieder auf mein altes „nicht-internetfähiges“ Handy zurückgreifen werde und ich dann immer noch unter meiner Handynummer erreichbar bin, jedoch eben kein WhatsApp mehr haben würde. War das mein erster Misserfolg? Ist es wirklich so schwierig auf sein Handy komplett zu verzichten? Ich redete mir ein, dass es okay wäre ein Handy zu haben, das nicht internetfähig ist, da meine WhatsApp, Messenger und Facebook-Sucht das eigentliche Problem sind.
Nun gut, das alte Handy hängt jetzt unten an der Steckdose und lädt. Ich bin gespannt wie lange ich es aushalte mich „nackt“ zu fühlen. Denn das ist es wie ich mich ohne mein Handy fühle. Irgendwie nackt. Man kann sich so wunderschön hinter dem Display seines Handys verstecken. Eigentlich immer. Bei Langeweile, unangenehmen Situationen, Stress usw. Das Handy ist so etwas wie ein Wegbegleiter geworden, der in allen Lebenssituationen mit Rat und Hilfe zur Seite steht. Ob man sich nun verlaufen hat und den Weg nicht finden kann, oder ob man ein Restaurant sucht, weil man Hunger hat, oder weil man etwa dringend einen Ratschlag in Beziehungsangelegenheiten von einer Freundin braucht. Das Handy ist stets für einen da.
Und das ist ein tiefliegendes Problem unserer Gesellschaft. Wir denken das Smartphone macht uns sozial und kontaktfreudig, doch in Wirklichkeit gibt es uns nur vor nicht einsam zu sein. Ich bin froh noch zu der letzten Generation zu gehören, die ohne Handys, Smartphones oder Tablets aufgewachsen ist. Eine Generation in der es normal war miteinander zu sprechen. Eine Generation in der es normal war seinem Gegenüber zuzuhören. Eine Generation in der es selbstverständlich war bei jemandem zu Hause vorbei zu gehen um zu schauen ob diese Person zu Hause ist und sie einfach mal zu besuchen. Eine Generation in der man die Eltern eines Freundes fragte wo er sich gerade aufhalte und dann einfach dorthin kam. Eine Generation in der alles irgendwie realer, alles irgendwie echt war.
Jetzt habe ich mein Smartphone seit etwa drei Stunden ausgeschaltet und war seitdem schon zwei Mal in Facebook auf meinem PC online. Gerade fällt es mir sehr schwer mich gegen den Drang mich ein weiteres Mal in Facebook anzumelden zu widersetzen. Es ist erstaunlich wie süchtig und abhängig soziale Netzwerke uns und besonders mich machen. Dem Drang mich anzumelden um zu sehen, ob ich eventuell eine neue Nachricht bekommen habe oder ob jemand etwas von mir geliked hat, ist kaum Stand zu halten. Was jetzt wohl gerade so in WhatsApp vor sich geht? Jetzt wo ich nicht mehr nachschauen kann, ob ich Nachrichten erhalte? Was mache ich jetzt die ganze Zeit?
Mit meinem Handy habe ich eigentlich nur passiv gelebt. Alle bzw. sehr viele Dinge die ich alltäglich so getan habe, geschahen mit dem Handy in meiner rechten Hand. Es fing schon morgens nach dem Aufstehen an. Das Erste was ich tat war der Griff zum Handy auf meinem Nachttisch, um den Wecker auszuschalten und gleich darauf meine WhatsApp Nachrichten und Facebook zu checken. Selbst beim Frühstück und während des Essens war mein Smartphone immer dabei. Ein romantisches Dinner mit dem Handy? Hatte ich so schon so Einige. Ich muss mich jetzt einfach zusammenreißen. Ich will endlich wieder aktiv am Leben teilhaben! Screw you Smartphone. Ich zieh das jetzt durch!