Abschnitte und Konserviertes aus dem Leben des Kalle Banich
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Die Jugendzeit – Wundersame Geldvermehrung
Ida Banich, Mutter der seltsam gearteten Brut und selbst ernanntes Oberhaupt der Familie, fand es in diesem Fall angebrachter, wenn sich ihre Söhne mit dem, wie auch immer angeeigneten, Dynamit selbst in die Luft sprengen würden. Da Kalle sich bei dem Lösungsvorschlag seiner Mutter nicht explizit ausgenommen sah, bat er um etwas Bedenkzeit, einen eignen Fluchtweg aus dieser düsteren und gleichzeitig deprimierenden Zukunftsaussicht präsentieren zu können.
Nach einer nahezu schlaflosen Nacht war Kalle Banich sich fast sicher, einen begehbaren Weg aus diesem Dilemma gefunden zu haben. Wahrhaftig stellte sich nur wenige Tage später dieser ursprünglich steinige Weg als eine dreispurige Schnellstraße ohne Baustellen heraus, denn, wie der Zufall einem plötzlich freundlich zur Seite stehen kann, war Kalle Banich mit dem Direktor und wichtigsten Devisenbeschaffer der albanischen Genossenschaftsbank eng befreundet.
Diese Freundschaft resultierte aus der Zeit, als Kalle seine erste Abhandlung über das netto verfügbare Kapital eines Arbeitnehmers im Ruhestand veröffentlichte und anschließend diese Werte anhand multinational verwertbarer Diagramme den Besitztümern beliebig herausgepickter Bankvorstände gegenüberstellte.
Ursprünglich lediglich als interessantes Beiwerk angedacht, gipfelte seine damalige Theorie in der gewagten Feststellung (und damit hatte niemand in der Finanzbranche gerechnet), dass Legehühner nur selten aktiv ins Börsengeschäft eingreifen. Eine Behauptung, die für die Albaner zum damaligen Zeitpunkt absolut neu, Devisen sparend und damit revolutionär schien.
Das hohe Ansehen, das Kalle seither in Tirana genoss, ist zudem daran festzumachen, dass er nur zwei Tage nach der Veröffentlichung der Legehühner-Theorie den Direktor der albanischen Genossenschaftsbank im Frankfurter Börsenrestaurant umarmen konnte.
Wer schon einmal die Strapazen auf sich lud, von Tirana aus einen der Onkel oder Tanten in einem nur fünfzig Kilometer entfernten Kuhkaff zu besuchen, weiß am besten, wie hoch diese Geste von albanischer Seite her einzuschätzen war.

Bei gefüllter Putenkeule und Rosenkohl wurde Kalle Banich ganz unbürokratisch die albanische Staatsbürgerschaft mitsamt der traditionellen Kopfbedeckung angeboten. Da Kalle schon immer fest davon überzeugt war, kein klassisches Hutgesicht zu haben, lehnte er das verlockende Angebot dankend ab.
Weil aber der albanische Unterhändler und Auslandskontenspezialist aus der Heimat die Anweisung im Handgepäck mitführte, den genialen Jungrevolutionär nicht ohne Gastgeschenk zur Garderobe schlendern zu lassen, wurde Kalles aus seiner Spontanität gewachsenem Wunsch entsprochen, ein Prozent der jährlich anwachsenden Staatsverschuldung im albanischen Haushalt auf ein Banich-Taschengeld-Konto in der Schweiz zu überweisen. Somit war zumindest für Kalle gewährleistet, immer das notwendige Kleingeld verfügbar zu haben, falls er mit seinem Hund einen spontanen Trip ins Grüne anzusteuern gedenke.
Wen mag es bei dieser Vorgeschichte verwundern, dass Kalle Banich über den Staatshaushalt Albaniens immer bestens informiert war? Dabei bemerkte Kalle selbstverständlich auch das Aufmucken einiger quengelnder Skipetaren und konterrevolutionärer Quertreiber, die genauere Informationen zu der wundersamen Wanderung von Geldern aus den albanischen Devisenreserven in die Schweiz haben wollten.
Immerhin waren es inzwischen abgerundete acht Millionen, denen der jüngste Spross im Banichclan, ganz unbürokratisch, auf seinem Taschengeld-Konto großzügig Asyl gewährte.

Die größten Kapitalstrategen und Finanzjongleure, sich selbst lobenden Börsengurus und Trittbrettfahrer, mit täglich erscheinendem eigenem Newsletter, verneigen noch heute ehrfurchtsvoll das angegraute Haupt, wenn sie auf diese »Banich-Theorie« angesprochen werden.
Wahrhaftig eine finanzpolitische Strategie von solcher Genialität, dass der gar als kauzig geltende Garri Kimowitsch Kasparow vor laufenden Kameras ankündigte, seine nächste Eröffnung nach Kalle Banich zu benennen.
Ob Kasparow jemals wieder ein offizielles Spiel eröffnet und sein Versprechen einhält, bleibt momentan noch dahin gestellt, da das inzwischen sozialistisch desillusionierte Albanien der Schweiz offiziell mit einem militärischen Eingreifen gedroht hat, wenn nicht ganz still und heimlich eine Aufbauhilfe im Hinblick auf Demokratie in Höhe von acht Millionen auf dem Haushaltskonto der darbenden Skipetaren einträfe.
Das echauffierte Gebaren der aus der sozialistischen Spur geratenen Albaner bereitete Kalle Banich dennoch kein nennenswertes Kopfzerbrechen, selbst wenn dieses winzige Volk auf dem Balkan die Schweiz künftig als Truppenübungsplatz zu nutzen gedachte.
Trotz seiner unbestreitbaren Verärgerung über das unsoziale Verhalten politisch reformierter Albaner mit Weisungsbefugnis, spielte er kurzzeitig mit dem Gedanken, seine Freunde auf dem Balkan darauf aufmerksam zu machen, der maroden Staatsbahn, die den Transport von Dynamit bis kurz vor Zürich übernehmen sollte, nicht zu viel Vertrauen entgegenzubringen.
Schließlich lagerte von diesem explosiven Schrott, mit dem die viel zu leicht erregbaren Albaner nicht nur die Schweiz, sondern gleich auch noch Liechtenstein einebnen könnten, durchaus genügend im strategisch näher gelegenen Wohnzimmer-Schießstand der Banichs.
Für Kalle stand fest, das Zeug musste aus dem Haus, seine Brüder aus einem finanziellen Engpass und er selbst wieder auf die Liste der Menschen, die unbeschwert einen Blick in die ferne Zukunft wagen können.
Der Ratschlag seiner Mutter, seinen Brüdern bei einem gemeinsamen explosiven Abgang loyal zur Seite zu stehen, hinterließ jedoch tiefere Sorgenfalten auf Kalles Stirn, als wir jemals erahnen können.
So musste alles jetzt Folgende geheim und abhörsicher seinen unaufhaltsamen Weg nehmen. Kalle rief sich seinen Patenonkel, Herbert Scharf, ins Gedächtnis zurück, einen passionierten Brieftaubenzüchter, wie es ihn im Ruhrpott nur noch selten gibt.
Beim Patenonkel krallte er sich dessen beste Taube (Theodora Adeldorn von Zupfenhausen), die gerade wohlbehalten aus ihrem Sommerurlaub zurückgekommen war. Den hatte sie dieses Jahr bei ihrer Cousine Gesine Marika von Schlamm in Oberhausen verbracht. Sie war noch voll mit der Gefiederreinigung beschäftigt (Menschen würden sagen, sie war beim Auspacken), als Kalles Daumen und Mittelfinger sich um ihren Hals legten.
Es dauerte keine fünfzehn Minuten und sie stand in neuem Outfit und mit einem Brief um den Hals auf dem Fensterbrett der Großraum-Villa Banich. Bereit zum Abflug nach Albanien. Um noch den CW-Wert günstig zu beeinflussen, hatte Kalle ihr einige Federn windschnittig frisiert und den Kopf mit einem Schwarzkopf-Haargel eingekleistert. Die Taube ließ die Tortur verblüffend artig über sich ergehen.

Das sollte niemanden verwundern, denn die Banichs waren ihr nicht ganz unbekannt. Doch vorsichtshalber legte Theodora beim deutschen Vogelschutzbund Protest gegen diesen nicht artgerechten Tuning-Eingriff ein. Sie wusste zwar nicht genau, welch entscheidende Rolle die Genfer Konvention in ihrem Fall noch spielen würde oder könnte, jedoch verwies sie in ihrem Protestschreiben sicherheitshalber gleich viermal auf diese ratifizierten Vereinbarungen und unterstrich manche Passagen dick und doppelt – einige gar dreifach.
Wie befohlen, lieferte die Taube den Brief am Regierungssitz des Präsidenten in Tirana ab. Dass sie dabei, von Blähungen geplagt, die neuen Galauniformen der Garde vollschiss, wurde ihr erst verziehen, nachdem der Nachfolger des großen Führers aus dem glorreichen Sozialismus in die ungewisse Zukunft den Inhalt der überbrachten Botschaft verstanden hatte.
Der Präsident (genau darauf hatte Kalle spekuliert), zum Glück kein kleiner Dummer, erkannte sofort, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Taube, sondern um einen Goldadler handelte, der sein Privat-Konto in Liechtenstein um ein beträchtliches Sümmchen aufstocken könnte.
Vier Tage später gingen bei drei verschiedenen Bankhäusern im näheren Einzugsgebiet des Banich-Reviers sechs Millionen ein. Die Leiter der kleinen Filialen konnten ihrer Freude dennoch keinen richtigen Ausdruck verleihen, da die nun schuldenfreien Brüder, trotz der wundersamen Finanzspritze, partout nicht auf die obligatorische Gesichtspolitur verzichten wollten.
Fast zur gleichen Zeit, als Kalle Banich der Brief einer Liechtensteiner-Privatbank zugestellt wurde, ernannte man in Tirana eine Taube zur Ministerin für Handelsangelegenheiten und Rüstungsnachschub.


