Jetzt geht es darum, die Details zu klären.
… und er drängt sich wieder einmal ganz nach vorn.

Das Gesicht, welches mich vom Bildschirm (offensichtlich mit bester Laune gefüttert) anlächelte, war mir in keinerlei Hinsicht unbekannt. Auch ihr hattet bereits das Vergnügen (so hoffe ich zumindest) sie etwas näher kennenzulernen. Der Anlass liegt in einem Zweiteiler eingebettet, die Gelegenheit wahrnehmend, vom Beginn einer tiefen Freundschaft zu erzählen. Wer in jener Zeit mit dem Retten des Universums beschäftigt oder mit dem Pudel beim Friseur saß, dem reiche ich noch schnell das nach, was ich einst in Sätze zu packen versuchte. Teil 1 & Teil 2.
Somit scheint das Geheimnis gelüftet und jedermann, der 1 + 1 zusammenzuzählen wagt, darf seinen mathematischen Fähigkeiten vertrauen, denn es war tatsächlich Selma, die meine volle Aufmerksamkeit einforderte, um nur ja bei ihrem, alle paar Tage anstehenden Report über die Vorkommnisse in und um Köln nicht von Kaugeräuschen abgelenkt zu werden.
Da diese Einschätzungen zur Lage der Nation und alle dem, was es da einzugliedern gibt, mindestens eine volle Stunde in Anspruch nimmt, sorgte ich oftmals insoweit vor, Ess- und Trinkbares griffbereit zu positionieren. An jenem Abend wurde dies jedoch mit einem Satz rigoros vom Protokoll gestrichen. „Heute geht es ans Eingemachte. Dabei muss ich mir sicher sein, dass du mir auch wirklich zuhörst und dir nicht nebenbei deinen üblichen Mist zwischen die Zähne schiebst.“
Normalerweise kann ich mitunter recht pampig reagieren, wenn ein Außenstehender sich dazu berufen fühlt, die Lebensmittel auf meinem Teller mit der großen Lupe zu überqueren, welche dann auch noch das Ungenießbare im Kräutersalz mehrfach vergrößert zutage fördert. In Bezug auf meine beste Freundin erspare ich mir den Einwand, weil es ohnehin nichts bringt.
Wer nicht umhinkam, Selma und mich seit unseren ersten Tagen in der Grundschule als nahezu unzertrennlichen Doppelpack wahrzunehmen, dem wird sich zwangsläufig die Frage aufdrängen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, Kommunikation auf diese Weise zu betreiben? Wie meist in solchen Fällen, spielt dabei ein Ding eine nicht unwesentliche Rolle, das sich zwar wortreich auch nur unzulänglich beschreiben lässt und wohl aus jenem Grund abgekürzt als Liebe bezeichnet wird.
Dagegen ist dann auch die dickste Freundschaft chancenlos. Zweifelsohne bot sich auch mir unzählige Male die Gelegenheit, mich als das Goldstück anzubiedern, das jede Liebe in höchstem Glanz erscheinen lässt. Doch trat ich nie, auch nur ansatzweise, in diese Pedale, um jenes Schwungrad in Gang zu bringen. Ich mag wohl der einen oder anderen Macke lebenslanges Asyl gewähren, doch käme ich nie auf die Idee, meine Energie an die Sinnlosigkeit zu verschleudern.
Da gab es jene Zeit, als ich, für mich selbst auch völlig überraschend, mir eingestehen musste, dass die Brüste von Mamas Yoga-Freundin bezüglich der Anziehungskraft den Basketball und den Fußball locker in den Schatten zu stellen vermochten. Das fand ich so extrem spannend, dass ich diese drastischen Veränderungen in meinem Wahrnehmungsvermögen umgehend meiner Freundin schildern musste. Selmas Antwort damals: „Ganz so ähnlich geht es mir auch. Nicht unbedingt wegen der Brüste, aber wenn ich Ellen auf dem Schulhof sehe, spielt alles in mir verrückt.“
Als dann auch bei mir der Groschen gefallen war, interessierte mich brennend, was an der blöden Nuss Ellen so speziell sein sollte und wieso keine Aktionen stattfinden, da man Selma viel nachsagen könnte, aber garantiert nicht, dass sie auf den Mund gefallen wäre. „Weil die eben auf Jungs steht. Da komme auch ich nicht gegen an.“ Ich bot mich an, die Fühler trotzdem mal auszustrecken. Wer konnte so sicher sein, dass Ellen einem Probedurchgang gar nicht so ablehnend entgegensteht? „Wage es nur ja nicht. Es könnte ganz schlimm für dich enden.“
Während ich quasi aus dem Vollen schöpfen und infolgedessen die eine oder andere Abfuhr besser verdauen konnte, sah die Sache für Selma in dem kleinen saarländischen Kaff doch recht mau aus. Die Kandidatinnen, die auf gleicher Längenwelle wie die deutsch-bosnische Wildkatze unterwegs waren, entsprachen nicht dem, was bei der Frustrierten hätte zu dem unverwechselbaren Bauchkribbeln führen können.

Wenig verwunderlich daher Selmas Bitte (leider in recht unregelmäßigen Abständen) an mich: „Komm, lass uns mal so richtig küssen. Ständig, das Kopfkissen voll sabbern macht auf Dauer auch keinen Spaß.“ Und so viel sei verraten – diese Frau kann unfassbar gut küssen. Die logische Nebenwirkung an meinem Körper war demnach auch nicht zu übersehen. Selma war stets mächtig stolz auf das, was sie bei mir auslöste, blieb jedoch streng bei ihrer Devise: Alles erlaubt – aber reingesteckt wird er nicht.
Dass ich dann eines Tages als Aushilfsknutscher ausgedient hatte, daran war ich nicht unwesentlich selbst schuld. Ich machte Selma nämlich bekannt mit meiner Anwältin für Medienrecht, die seinerzeit ihre Kanzlei in Saarbrücken hatte. Es dauerte geschätzte dreißig Sekunden, nachdem die beiden Damen sich erstmals die Hände gereicht hatten, da wurde ich das Gefühl nicht mehr los, ziemlich überflüssig zu sein. Ich versuchte das Beste aus der Situation herauszuholen und kümmerte mich intensiv um das Glas mit Hefeweizen, welches mir der Wirt vor die Nase gestellt hatte.
Sechs Monate später wechselte die Anwältin Barbara Winter aus der Landeshauptstadt in eine große Kanzlei nach Köln. Mit ihr im Schlepptau die Übersetzerin für slawische Sprachen Selma Demir, die fortan die Gebrauchsanleitungen für große Industrieanlagen, Kraftwerke und ähnlich spannenden Mist im Homeoffice linksrheinisch übersetzte. Und exakt seit jenen Tagen wird der Bericht zur Lage der Nation mindestens einmal in der Woche zwischen Saar und Rhein ausgetauscht und diskutiert.
So schließt sich der Kreis im Zeichen des Rückblicks und ich wartete ganz gespannt, was die bestens gelaunte Dame in Köln so wichtiges auf Lager hat und meiner vollen Aufmerksamkeit bedarf. Ohne langes Vorgeplänkel oder gar vorsichtiges Herantasten an das glühende Eisen, kam Selma sofort auf den Punkt. „Barbara und ich haben uns dazu entschlossen, ein Kind zu bekommen.“
Wegen intern gefasster Beschlüsse zur Vergrößerung der Familie wird mir der Griff in die Haribo-Schüssel oder der Angriff auf Roquefort und Baguette verweigert? Ich konnte es nicht fassen und hielt mit meiner Empörung auch nicht hinter dem Berg. „Nur weil ihr ein Kind adoptieren wollt, wird mir Genussverbot erteilt? Du lehnst dich verdammt weit aus dem Fenster.“
Bevor ich auch nur den Versuch wagen konnte, dem Schreibtisch für einen Moment den Rücken zu kehren und die Tür des Kühlschrankes zu öffnen, wurde von der anderen Seite nachgelegt. „Wer hat hier von Adoption geredet? Ich werde ganz normal schwanger und bringe ein Baby zur Welt. So, und nicht anders, wird das über die Bühne gehen.“
Mir war wohl klar, dass die Menschen in der Medienstadt am Rhein mehr oder weniger anders ticken, als der ganze Rest in der Republik, aber dieserlei Kunststücke traute ich auch denen nicht zu. „Selma, willst du mir verraten, wie Barbara das anstellen will? Aber, um ganz ehrlich zu sein, hätte ich mir das liebend gerne live und in Farbe angeschaut.“
„Hier gibt es nichts zu spannen. Du bist nämlich jetzt gefragt. Ich will, dass das Kind von dir ist und von sonst niemandem.“
Vollkommen ohne den Einfluss klebriger Gummibärchen wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir da was im Hals steckt, was nicht mehr vor oder zurück wusste. „Darf ich dich an deine, wie in Beton gegossene Devise erinnerte, die da in etwa lautete, alles sei erlaubt – außer dem Hineinstecken? Und jetzt plötzlich soll ich den Turnvater Jahn zum Besten geben?“
Nun traf es Selma, die das Zusammenspiel körperlicher Reaktionen nicht mehr recht zu koordinieren wusste. Es kann nicht ohne einen Sprühregen aus Spucke und Tropfen aus einer plötzlich überflutender Nase in Richtung Monitor abgehen, wenn gleichzeitig versucht wird zu lachen, husten, niesen und zu atmen.
Während ich mich mit der Frage herumschlug, ob Reanimation über Skype überhaupt möglich ist, gelang es meiner Freundin, die verwalterische Hoheit über ihren Körper wiederzuerlangen.
Kaum hatte das Tempo-Taschentuch die Exkursion über den Bildschirm abgeschlossen, wurde munter weiter an meiner Zukunft geschraubt. „Turnen steht auch nicht auf dem Stundenplan. Du musst lediglich abliefern.“
Die Diskussion über das Thema Familienerweiterung mit der dazugehörigen Spermien-Initialzündung schien ihr Heil vollends in der Schatulle mit dem Straßen-Slang zu suchen. Hier musste ich unbedingt gegen wirken, da Selmas Wortschatz in dem Bereich den Meinigen locker in den Schatten stellt. „Hier liegt wohl eine Verwechslung vor. Ich bin nicht der vom Paketservice, der auch noch nach Feierabend abliefert. Wärst du so freundlich und würdest mir deine Planungen ins Verständliche übersetzen?“
Die Gesichtszüge auf der anderen Seite veränderten sich in einer Form, wie ich es von meiner Freundin seit eh und je gewohnt bin. Jetzt stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, für welchen Typus von Schwerversteher sie mich hält. „Wie kann man nur derart auf der Leitung stehen? Du machst dich am Sonntag mit einem gut gefüllten Hoden auf nach Köln, schläfst bei uns und dann haben wir am Montagmorgen den Termin in der Klinik. Das bedeutet, dass dein liebstes Stück bis dahin jeder Art von Stress ferngehalten werden sollte. Hast du es jetzt kapiert?“
„Warum können wir die Nacht von Sonntag auf Montag nicht nutzen und das Schöne mit dem Nützlichen verbinden?“
„Weil es im Moment kein idealer Zeitpunkt ist und er ohnehin nicht in mich reingesteckt wird. Reicht das aus an Erklärung?“
„Kannst du wenigstens Barbara fragen, ob bei ihr vielleicht der Zeitpunkt stimmt und sie das mit dem Reinstecken nicht so eng sieht?“
Genau diese Frage muss ich mir unbedingt abspeichern, denn sie garantiert das rasche Ende eines Skype-Gespräches, welches sich in der Unendlichkeit zu verlieren droht.
„Du bist und bleibst ein Depp. Wir sehen uns am Sonntag und bis dahin, lass bitte die Finger von deinem Pimmel.“
Und weg war sie – die Wildkatze mit dem intensiven Kinderwunsch.

Es ist Montagmorgen und Selma hat es tatsächlich geschafft, mich in ein Gebäude zu zerren, das ich unter normalen Umständen ausschließlich mit dem eigenen Kopf unter dem Arm oder auf intensives Drängen meiner Mutter betreten würde, nur weil sie der Meinung nachhinkt, ich müsse Onkel Alwin unbedingt noch einen Besuch abstatten, bevor er das Zeitliche segnet.
Hinzu kommt noch, mich in einer Abteilung wiederzufinden, die vorgaukelt auf Folgendes spezialisiert zu sein: Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen. Kann ich damit etwas anfangen? Die kurz gehaltene Frage bekommt eine ebenso knappe Antwort: nein.
Was mir hier jedoch bevorsteht, darüber gibt es keinen Zweifel mehr, da die Frau an meiner Seite es mir in allen Variationen erklärt hatte. So, als bräuchte ich für den Vorgang eine Gebrauchsanleitung?
Zu meiner Überraschung komme ich doch wahrhaftig zum vereinbarten Termin zu meinem Einsatz. Die Krankenschwester bittet mich höflich, ihr zu folgen. Für mich somit höchste Zeit, meinen letzten Joker zu ziehen. Ich drehe mich zu Selma, schaue ihr in die Augen und sage (da ich es bin, der ab sofort den weiteren Ablauf bestimmen kann): „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich jetzt da reingehe, mir einen Porno reinziehe oder von der Krankenschwester einen herunterholen lasse? Falsch gedacht. Du gehst jetzt brav und ohne Widerrede mit und hilfst mit all den dir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dabei, unserem Kind sich mit viel Elan ans Licht der Welt zu drängeln.“
Denn auch ich habe so meine Devise: Mutterpflichten können einfach nicht früh genug beginnen.

Nachtrag:
Wie kam ich überhaupt auf die Idee, mir diese Erzählung aus den Fingern zu saugen?
Es waren zwei Meldungen, die mir beim Durchstöbern des Blätterwaldes am Morgen ins Auge fielen. Beide unterscheiden sich von ihrem redaktionellen Inhalt erheblich, sind aber dennoch demselben Thema zuzuordnen.
Der erste Artikel bestätigte mich in meiner lange zurückliegenden Entscheidung, die Finger weg von Dingen zu lassen, die auch nur annäherungsweise mit der Manipulation am Menschen in Zusammenhang gebracht werden könnten. Gleichzeitig tankte ich mit der Überschrift zum letzten Abschnitt 'Menschen noch besser als Maschine' ein wenig Hoffnung für den „natürlichen“ Vorgang. Doch hielt sich diese Hoffnung nur exakt zwei Zeilen lang.
Der zweite Artikel lieferte mir die Erklärung für mein innigst gepflegtes Vorurteil, dass die Holländer (da gehören die aus den Kolonien nicht dazu) nahezu ähnlich aussehen, vorstehende Zähne stolz als Markenzeichen präsentieren und unter Garantie alle miteinander verwandt sind.
Das soll es für heute gewesen sein. Ich hoffe, euch mit einer Prise Humor aus dem täglichen Trott gelockt zu haben und verabschiede mich bis zum nächsten Rundgang im Gemischtwarenladen. Bleibt mir bis dahin gesund und munter.

