Oder – Kalle hat alle

Wir blicken vorab zurück in Episode 1, in der wir darüber informiert wurden, dass Kalles wackelnde Milchzähne stets unter besonderer Beobachtung seiner Brüder standen und das ehemalige Wohnzimmer in einen Schießstand umgewandelt wurde.
In Episode 2 wurden wir Zeuge seiner schulischen Höchstleistungen und der bitteren Erkenntnis, dass innerhalb der Familie die Intelligenz doch sehr unterschiedlich verteilt schien.
Welch, wirtschaftlich betrachtet, überregionales Potenzial in Kalle steckt und warum Kalle in Albanien Götterstatus genießt, konnten wir in Episode 3 verfolgen.
Wieso und weshalb in der Familie Banich vergitterte Fenster eine nicht unwesentliche Rolle spielen und Ferkel sich ihren Schlachter selten selbst aussuchen dürfen, darüber gab uns Episode 4 Auskunft.
Episode 5 deutete schließlich an, welch ein unfassbar breites Spektrum an geschäftlich profitabler Vielfalt Kalle Banich offenzulegen versteht.
Vor 14 Tagen dann, offenbarte sich mit Episode 6, dass auch in Kalles Leben nicht immer alles rund läuft. Insbesondere dann nicht, wenn Alkohol und das weibliche Geschlecht den Tagesablauf bestimmen.
Der vorerst Blick auf Kalle Banichs Schaffen hielt jene Situation fest:
Exakt der Moment, als Kalle Banich sich aus dem Geschehen im Stadion von Croydon mit all seinen Sinnen in die Bewusstlosigkeit zurückzog.

Das läuft alles nicht wirklich rund …
Am nächsten Nachmittag, Kalles Schädel wurde gerade von seiner Haushälterin mit dem dritten Eisbeutel versorgt, war der Rasen in Croydon noch immer nicht vollständig abgetrocknet. Beide Mannschaften vertrieben sich wohl in der Kabine die Zeit mit anzüglichen Gesellschaftsspielen und scherten sich einen Dreck darum, ob dieses öde Vergleichskampf nun eine Fortsetzung erfährt – oder vielleicht auch nicht.
Mit dieser ausgeprägten Form von britischer Gelassenheit wollte Kalle Banich (und dies bereits knappe achtzehn Stunden zuvor) weder Freundschaft schließen, noch sich ihr widerstandslos unterordnen. Also drängte er, im Rahmen seiner noch abrufbaren Möglichkeiten, seine Begleiterin umgehend, das Stadion der praktizierten Langeweile zu verlassen.
Anfänglich weigerte sich Martha Bail noch mit Händen und Füßen dem überhaupt nicht stattfindenden Geschehen den Rücken zu kehren. Selbstverständlich wollte sie, als ausgewiesene Cricket-Expertin, den Wiederanpfiff nicht verpassen, von dem Experten, zu denen sie sich zählte, behaupten, es sei der spannendste Moment im ganzen Spiel. Dass sie dann doch ihre Meinung änderte, lag wohl mehr an dem Verhalten ihres teutonischen Platznachbarn, der die Feinheiten dieses Spieles auch nicht im Ansatz nicht zu verstehen schien.
Der Ignorant vom fernen Festland schwang lieber die leere Flasche Bell's in immer näheren Abstand zu ihrem Kopf und sang dazu alte deutsche Wanderlieder. In den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Strophen überschüttete der randvoll abgefüllte Banich sie auch noch mit literarischen Zitaten in einer Sprache, die sie sonst nur in den alten englischen Kriegsfilmen zu Ohren bekommt.
Als dann auch noch plötzlich der kleine Italiener stramm neben ihrem deutschen Begleiter stand und stellenweise eine neue Tonlage vorgab, war Martha klar, den Wiederanpfiff nicht live und in Farbe miterleben zu können. Außerdem hatte sie bei den letzten Akkorden von 'Oh, wie ist die Welt so schön' das erste schmerzhafte Tête à Tête mit der gläsernen Ummantelung, die noch vor ein paar Stunden als die zwischenzeitliche Unterkunft eines schottischen Destillats galt.
Da saß sie nun, Martha Bail, in dem großen Sessel direkt Kalle gegenüber und versuchte auch ihrerseits, mit Kühlauflagen die Beulen auf ihrem Kopf zum schnellen Rückzug zu bewegen. Überdies nahm sie die günstige Gelegenheit wahr, ihren Arbeitgeber an seine Versprechen vom Abend zuvor zu erinnern.
Nur, um der Situation als Beobachter gerecht zu werden.
Martha hätte Herrn Banich erzählen können, was immer ihr in den Sinn gekommen wäre. Banich erinnerte sich nämlich an rein gar nichts mehr. Ganz im Gegensatz zu der lädierten Haushälterin. Die half ihm entsprechend erbarmungslos und auf die Sprünge. Und dies, kurz nachdem Kalle Banich ein letztes Mal alle hilfreichen Geister um Unterstützung bat und dabei inständig hoffte, dass er in seinem durchlebten Vollrausch Frau Bail keine körperlichen Köstlichkeiten versprochen hatte.
Kalle wusste selbst, dass es war zu spät war, um letzte, noch abrufbare Reflexionen Revue passieren zu lassen. Jetzt führte eindeutig die Haushälterin Regie und er konnte nur darauf hoffen, die Rolle eines Komparsen mit Überlebenschancen zu ergattern. Für die Hauptrolle hatte er heute einfach nicht die Kraft, die Geduld und das Durchhaltevermögen.

Doch die Frau im Regie-Sessel plagten andere Sorgen und andere Bedürfnisse. Hatte daher auch keine Zeit, Rücksicht auf eventuelle Beeinträchtigungen von Banichs gesetzlich verbrieften Persönlichkeitsrechten zu achten. Sie hielt sich haargenau an das Drehbuch, das ihr der germanische Barde und Cricket-Ignorant am gestrigen Abend ins Ohr flüsterte. In jenem kleinen Kammerspiel war kein anderer männlicher Akteur vorgesehen, als der Drehbuchautor selbst. So musste die Regisseurin ihrem verunsichertem, was Text und zeitlichen Ablauf betraf, eisgekühlten Hauptdarsteller helfend unter die Arme greifen.
Erster Akt:
Meine Titten massieren, bis sie wieder die Festigkeit einer Stützmauer direkt am Damm entlang erlangen.
Zweiter Akt:
Es mir so zu besorgen, dass meine Fettkörper die Energie freisetzen, die üblicherweise für die Beheizung eines Zweifamilienhauses benötigt wird.
Schlussakt:
Sollten diese Versprechungen nicht eingehalten werden, müsse der kläglich Gescheiterte von seinem Amt als National-Coach zurücktreten und sie, Martha Bail, als einzig infrage kommende Nachfolgerin präsentieren.
Nachdem Kalle Banich diese Auszüge aus dem von ihm ausgearbeiteten Drehbuch nicht nur vernommen, sondern auch geistig verarbeitet hatte, bat er um ein Blatt unbeschriftetes Papier und unterzeichnete eine Blanko-Verfügung. Denn ihm war eines absolut klar – diese Frau wollte den Trainer-Job mehr als all den Rest seiner gemachten Versprechungen.
Dieser Trainer-Job – und sonst gar nichts!
Auch, was die Personalplanung betraft, schien die neue Dirigentin des englischen Cricket-Teams nicht gänzlich unvorbereitet. Denn ihr zukünftiger Assistent wartete seit Jahren bereits ungeduldig in Finsbury-Park.

Kalle Banich verließ wenige Tage später die Insel.
Doch vorher goss er sich noch einmal gründlich den Kanal im Rover's Inn bis zum Rand voll und machte zu fortgeschrittener Stunde Tina Rapsdale einen Heiratsantrag, an den er sich aber am nächsten Morgen nicht mehr erinnern wollte und konnte.
Die letzten Zuckungen
Kalle Banichs Theorien und ihre Folgen
Kalle Banich, seit seiner letzten Entdeckung, die ihm weltweites Ansehen und eine neue Badewanne einbrachten, ist, eigentlich recht unerwartet, nun doch ein, von gewissen Kreisen, geachteter Mann. Er verlor auch nie ein schlechtes Wort über seine Nachbarn, geschweige denn über des Bürgermeisters frei laufende Schildkröte, die schon für so manchen Flurschaden in Kalles betoniertem Vorgarten die Verantwortung übernehmen musste. Banich war sogar innerhalb der Vereinigung autonomer Zahnärzte als friedliebend und zahm verschrien.
Doch dies schien alles keine Gültigkeit mehr zu haben, als letzte Woche der Chefredakteur des Sonntagsblattes sich mit der Begründung, seine Hauskatze wäre von Schuppenflechten befallen, er selbst von Krämpfen geschüttelt, standhaft weigerte, Banichs brandneue Theorie zu veröffentlichen.
Als nachhaltigen Beweis seiner Verärgerung darüber, strich Kalle Banich die Schildkröte lila an und hisste auf dem Marktplatz die Fahne der saarländischen Befreiungsbewegung, welche mich persönlich eher an ein Spannbetttuch aus den Wühltischen bei Karstadt erinnert.
Frau Müller, die Schwester des Kaplans, auffallend oft landauf, aber auch in den dicht besiedelten Tälern des Saarlandes als feixende Feministin verschrien, bot der Schildkröte daraufhin politisches Asyl an. Was das Kriechtier jedoch dankend ablehnte, da es sich ihres männlichen Geschlechtes nicht zu schämen und erst recht nicht zu verabschieden gedachte.
Als Banich auf Flugblättern, die er auf einer, wie immer mäßig organisierten, aber dafür billigen Fahrt des Pensionsvereins 'Starkstrom-Truppe Saartal' unter die Leute brachte, sein Interesse an ungebrauchten Landminen und Panzerfäusten bekundete, sah sich der ortsansässige Schuster zu einer weitreichenden Maßnahme gezwungen. Er entschied spontan und aus dem Bauch heraus, ab sofort ausschließlich die Schuheinlagen aus Edelstahl passgenau zu fertigen.
Der Aufschrei vonseiten der Hufschmied-Innung ließ nicht lange auf sich warten. Dies schien den Meister aller Ledersohlen jedoch wenig zu stören, da seine Ankündigung ihm viel Beifall vom Verband der hinkenden Orthopäden einbrachte.
Eilig verfasste Bittbriefe an die Adresse des Chefredakteurs, sich doch wenigstens Banichs Theorie einmal vorsingen zu lassen, fruchteten wenig. Vielmehr behauptete dieser stur und steif (aber wohl eher aus einer puren Laune heraus) seine Katze hätte, ausgelöst durch den ganzen Trubel, das Schachspielen verlernt, was ihm besonders schmerzlich kurz vor den Tagesthemen bewusst werde.
Über dieses Leid sei ihm jedoch durch reichhaltige Subventionen durch Bund und Land hinwegzuhelfen.
In banger Erwartung, wie sich die Dinge entwickeln würden, sagte die UNO-Vollversammlung auf Monate alle Kaffeekränzchen ab. Eine leichte Entspannung der Lage schien sich abzuzeichnen, als gut informierte Kreise glaubten herausgefunden zu haben, dass Kalle ein geplantes Treffen mit einem üblen Waffenschieber abgesagt habe. Wie immer stellte sich schnell heraus, dass die gut informierten Kreise keinen blassen Schimmer von dem hatten, welche Schrittfolgen auf dem glatten Tanzparkett zurzeit angesagt sind und damals waren.
Aber gerade in dieser Situation offenbarte Banich eine taktisch durchdachte Handlungsweise, die ihm kaum jemand mehr zugetraut hätte. Um all seine Beobachter, Verfolger und Geheimdienstler zu verwirren, schloss er sich drei Tage auf seinem Gäste-WC ein, doch nicht, ohne vorher seine Fingerabdrücke auf den Tulpenblüten in seinem Vorgarten beseitigt zu haben.

Als er nach weiteren vier Tagen damit begann, sein Dach abzudecken, um eine Mittelstreckenrakete in Stellung zu bringen, deren Spitze verdächtig genau in Richtung Verlagsgebäude Sonntagblatt zeigte, sah sich der Leiter des städtischen Gartenbauamtes gezwungen, sein Nelkenbeet mit einer Tarnplane zu überziehen und Kontakt mit einem allseits bekannten Strategen aufzunehmen.
Diesem humpelte schon seit Jahren der Ruf hinterher, seine Gäste ausschließlich in Oggersheim zu empfangen, wo er sie stets mit einem gefüllten Saumagen einzuwickeln versuchte. Dieses ehemalige politische Schwergewicht hatte sich vor Jahren verärgert aus dem Tagesgeschehen zurückgezogen, nachdem ihm seine persönliche Referentin eine Bemerkung des Papstes übersetzt hatte, die dieser, bei einer dem Oggersheimer gewährten Audienz, gegenüber anwesenden Kardinälen hat fallen lassen.
Trotz der mehrmaligen Beteuerung des Papstes, es wäre ihm da ein gar teuflisches Missverständnis unterlaufen, brutzelt der Saumagen seither nur noch beleidigt in Rheinland-Pfalz vor sich hin. Laut offizieller Darstellung des Vatikans sei dem Pontifex Maximus fälschlicherweise der Name des Politikers mit Hohl angegeben worden. Erst daraufhin habe er sich zu der Bemerkung 'nomen est omen' hinreißen lassen.
Der daraufhin nahezu unheilbar gekränkte Stratege agierte und publizierte nach diesem ungeheuerlichen Vorfall nur noch unter dem Pseudonym 'Heinrich Birne'. Dies bescherte ihm einen Eintrag im Telefonverzeichnis der Bundespost und einen Stammplatz in gut sortierten Regalen bei Edeka für wiedervereinte Früchte.
Banich hatte zwar einstweilen mit der Sprengung des Rathauses gedroht. Doch wie sich schnell herausstellte, wollte er damit nur der Forderung seines Verhandlungspartners nach einer Leberwurstpizza etwas mehr Nachdruck verleihen.
Am Sonntag, der Kindergottesdienst befand sich mit dem Ablesen des Vaterunsers in seiner heißen Phase, schraubte Kalle Banich den Sprengkopf seiner Rakete demonstrativ ab. Der Bürgermeister verlor seine Schildkröte und Heinrich Birne um ein Haar seinen noch immer unerschütterlichen Glauben an das Machbare.
Was den Bürgermeister betraf, der hatte auf ein Scheitern der Mission gewettet und dabei den falschen Einsatz gewählt. Bei der Birne stellte sich die Sachlage etwas komplizierter dar. Der hegte zwar einen Plan, doch hatte die ehemalig folgsame Herde keine Lust mehr, ihm noch länger zuzuhören. Da das bedingungslose Aufgeben jedoch noch nie sein Ding war, machte er sich auf zu dem Ort im nahen Saarland, wo sein diplomatisches Feingefühl mehr denn je herbeigesehnt wurde.

Birne traf Banisch und es dauerte keine vierundzwanzig Stunden, da überschlugen sich die Schlagzeilen in der Tagespresse über einen womöglich neuen Kandidaten für das Kanzleramt. Mit in dessen Gepäck – nicht nur eine kräftige Brise frischer Wind, sondern auch die Theorie, wie die überufernde Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen wäre.
Kalle Banich wurde fortan als Vater der Erkenntnis gefeiert, dass Quadratwurzeln nur dann erfolgreich gezogen werden können, wenn sie im Frühherbst gepflanzt und im Winter gut gedüngt werden.

